20021231.01
Man taeuscht, man betruegt sich mit der Annahme, dass es
moeglich waere nur fuer sich selbst zu schreiben; ebenso
fehlherhaft ist die Annahme, dass es moeglich waere sich mit sich
selbst zu unterhalten. Man tut dies als Notbehelf, weil eben
kein anderer zugegen ist, den ausgesprochenen oder
niedergeschriebenen Gedanken anzuhoeren. Die Natur ist
verschwenderisch, auch mit Geistesgut. Verschwenderisch zu sein
liegt im Wesen der Natur. Wie von den unzaehlbaren Samen der
Pflanzen und Tiere nur die mindeste Zahl bestimmt ist fruchtbar
zu werden; so von den von einzelnen Menschen unablaessig
ausgeschuetteten geistigen Gebilden geht nur ein geringes
Bruchteil in die Gesellschaft ein, geht nur ein geringes
Bruchteil in der Gemeinschaft auf. Und doch verbleibt die
widerspruechliche Tatsache dass in diesem geringen Bruchteil das
Leben der Gemeinschaft besteht; vergleichbar mit der Tatsache,
dass die Geschlechter von Pflanzen und Tieren auf dem geringen
Bruchteil der Samen das sich als fruchtbar erweist, gegruendet
ist. Wie jedes Samenkorn zur Fruchtbarkeit bestimmt (ausersehen)
zu sein scheint, und doch fast jedes Samenkorn verdorrt; so
scheint jedes geistige Gebilde zur Gemeinschaft bestimmt, so hat
jedes geistige Gebilde seine Bedeutung nur in gesellschaftlichem
Zusammenhang: und verwest dennoch, in der uebergrossen Mehrzahl
der Faelle, als Ueberfluessigkeit, unbeachtet, in Vergessenheit.
Andererseits aber ist die Wirksamkeit auch des beachteten
geistigen Gebildes beschraenkt, vergleichbar mit der
beschraenkten Wirkung auch der keimenden Saat. Denn die Pflanze,
das Tier welches sich daraus entwickelt ist wiederum sterblich
und vergaenglich, und ist allen Zufaelligkeiten (vicissitudes)
des Daseins preisgegeben. Und nie gelingt es, dem Wandel der
Zeit zu entkommen.
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