20030127.00
Die Philosophie ist die Klagemauer des Geistes an
welcher wir unsere Schmerzen beschreiben. Als Philosoph
beklage ich, dass ich so dumm bin, (Was kann ich wissen?),
dass ich so schlecht bin, (Was muss ich tun?), dass ich so
sterblich bin.(Was darf ich hoffen?) Die Leiden und die
Maengel welche da erzaehlt werden, sind mit dem Erzaehlen
keineswegs beseitigt; jedoch wird das Ungemach welches sie
begleitet schon durch die Darstellung gelindert. Die
Philosophie gleicht der ehernen Schlange, die, als sie in
der Wueste gehisst wurde, die Augen der Leidenden auf sich
zog, und sich als Heilmittel offenbarte.
Der zufriedene, gesaettigte Mensch bedarf nicht der
Philosophie; aber der leidend beduerftige mag sich an ihr
erholen. Sich mittels des Denkens Erleichterung, Erloesung
zu suchen ist eine fast selbstverstaendliche Folge der
geistigen Veranlagung des Menschen, naemlich dass er mittels
seiner Vorstellungskraft und mittels seiner Faehigkeit
seinem Erleben begrifflichen Ausdruck zu geben, sein Leben
erleichtert, verbessert, wenn nicht sogar ueberhaupt
moeglich macht.
So etwa die Philosophie der Leidenschaft, die
Philosophie des Suchens, die Haltung welche sich am Ende
selig preist, "im Unrecht zu sein vor Gott." Es gibt aber
auch eine andere Spur der Philosophie, die stolze Lehre des
Allwissens, die Lehre welche, wenn heute nicht, dann morgen,
die Fragen saemtlich zu beantworten, die Raetsel alle zu
loesen verspricht. Hierzu gehoert die semantische sowie die
mathematische Logik, die sogenannte Philosophie der
Wissenschaft, die positivistische Erklaerung von Denken und
Dasein.
Die beiden philosophischen Richtungen widerstreben,
widersprechen sich. Einerseits die Lehre welches alles zu
beantworten beansprucht, und somit sich als die Krone der
Wissenschaft anbietet (anbiedert); andererseits die Lehre
welche alles zu bezweifeln sich unterfaengt, mit dem Sinn
und Ziel den Zweifel auch im Heiligtum der Wissenschaft, in
der Mathematik zu pflanzen und zu zuechten.
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