20050216.00
Die Wissenschaft bedarf der Geschichte auf dringendste
Weise. (in the most pressing manner) Diese Feststellung gilt
fuer die Medizin, gilt fuer Biologie, fuer Chemie; gilt auch fuer
die Physik, besonders fuer die theoretische Physik. Nur die
Mathematik scheint ausserhalb des Bereiches der Geschichte zu
wirken. Wenn diese Feststellung sich bewaehrt, dann moechte die
Antwort auf die Frage: "Warum sollte Mathematik unhistorisch
sein?" sich als Schluessel zum Wesen der Mathematik erweisen.
Keineswegs dass die Vergangenheit der Wissenschaften
irgendwie tatsaechlich zugaenglich waere, ebensowenig wie die
Vergangenheit eines Menschen, geschweige denn dass die einer
Ortschaft zugaenglich waere. Die Geschichte aber ist die
Vergegenwaertigung des Einstigen und anderweitig nicht mehr
erreichbaren. Sie bedeutet das Siegel der Vergaenglichkeit
welche auch an allem Gegenwaertigen haftet. welches auch alles
Gegenwaertige bezeichnet. Die Vergangenheit ist der Schluessel
zur Gegegnwert, insofern als sie die Gegenwart auch als
vergaenglich und (schon) vergangen darstellt.
Die Gegenwart ist die Verlaengerung der Vergangenheit in das
Erleben, ein Auslaeufer der die buendigste, die unmittelbarste
Wahrheit beansprucht. Die Gegenwart behauptet sich als einzige
Wahrheit weil sie der Herd des Erlebens ist. Die Gegenwart ist
das einzig Gueltige. Die wissenschaftliche Wahrheit ist stets
nur in der Gegenwart zu finden. Nur in der Gegenwart vermag die
Wahrheit zu bestehen. Die Wisenschaft besteht in dem
unverbruechlichen Bezug auf die Gegenwart. Das Wesen der
Wissenschaft ist, dass sie ohne Unterlass die Vergangenheit
ueberholt, dass sie die Vergangenheit fortwaehrend verbessert.
Alles Vergangene ist ipso facto unzulaenglich und fehlerhaft,
insofern es nicht durch die Gegenwart bestaetigt oder korrigiert
(berichtigt) wird.
So auch die theoretische Physik. Alle physikalischen
Theorien der Vergangenheit sind ueberholt. Und auch der heutigen
vermag man nur voruebergehende Gueltigkeit anzuvertrauen. Worin
also bestand, worin besteht ihre Wirksamkeit? Die
wissenschaftliche Theorie wirkt als Verstaendigungsmittel, das
(allein) jene Zusammenarbeit (Kooperation) der Menschen
ermoeglicht, welche den grossen Errungenschaften der Technik
zugrunde liegt. Und es sind diese Errungenschaften, es ist die
praktische Mitteilungswirksamkeit, (communicative efficacy), und
nicht die begriffliche Ueberzeugungskraft (its conceptual
persuasiveness) und keineswegs die Verstaendlichkeit der
physikalischen Theorie darin ihre Gueltigkeit, darin ihre
Wahrheit besteht.
Wie vermag eine gegebene physikalische Theorie dann aber,
wenn sie nicht verstaendlich ist, die Zusammenarbeit der Menschen
ermoeglichen? Vielleicht ermoeglicht die Theorie die
Zusammenarbeit nicht einmal sondern bestaetigt nur eine
Zusammenarbeit welche andere (gesellschaftliche) Grundlagen hat.
Man mag also die Anmassungen der theoretischen Physik mit
den Anmassungen anderer Priesterkulten vergleichen. Das
Geheimnis hier entspringt der schweren Erfassbarkeit der
mathematischen Gebilde.
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