- 1 - 20050624.00 Die Qualitaet der Dichtung - und ist nicht alles Geschriebene im tiefsten Sinne Dichtung? - haengt von dem Masse ab, in welchem sie transzendentale Apperzeption hervorruft, von dem Masse in welchem sie die Wahrnehmung der transzendentalen Welt, des Entlegendsten oder des Inwendigsten ermoeglicht. Indem ich diesem Gedankengang folge, wird es mir wieder einmal aufs Eindringlichste klar, in welchem Sinne das Fernste das Unmittelbarste genannt werden mag, mit welcher Begruendung man das Goettliche dem Menschlichen gleichsetzt, mit welchem Recht man sagt, dass Gott Seele ist, und Seele Gott. Das Erleben des Transzendentalen, das Erleben des Jenseits, das Erleben dessen das jenseits unseres Erfassens ist geschieht aber mit oder ohne, entsteht sogar trotz der Literatur. Die Dichtung mag eine Kluft, (chasm, Schlucht) mag eine Bruecke, mag eine Mauer zwischen mir und dem Jenseits gestalten; aber mein Verhalten wird letzten Endes mehr von mir selber als von dem Buch darin ich lese abhaengen. Denn ist das Geschriebene eine Schlucht so vermag ich ueber sie hinweg zu springen. Ist das Geschriebene eine Mauer, so ist es mein Stolz, faehig zu sein sie zu ueber- steigen; ist es eine Bruecke so mag ich gemaechlich hinueber wandeln. Und doch: das Ueberqueren von Kluft und Mauer ist leichter gesagt als getan und die Hindernisse sind nicht selten unueberwindlich. Nicht selten verfaengt sich das Denken in logisch-aesthetischem Irrtum wie in einer Falle, aus welcher es nicht zu entkommen vermag. Wenn ich von Jenseits schreibe, so meine ich nicht ein vergegenstaendlichtes Jenseits, nicht einen christlichen Himmel oder eine christliche Hoelle, noch irgend ein anderes Wolkenkuckucksheim mit dessen Unerreichbarkeit die Menschen ihr Spiel treiben. Mit Jenseits meine ich schlicht und einfach all das was jenseits des Horizontes meines gegenwaertigem Erlebens liegt, ein Gelaende, das ich in der Vergangenheit einst durchlebte, und das ich Grund habe in der Zukunft erneut zu erwarten; das aber jetzt, in dieser Gegenwart jenseits meiner inneren und aeusseren Wahrnehmung liegt. Es ist die Zerbrechlichkeit des Unmittelbaren, welche das Jenseits so unabkoemmlich macht. Es ist die Vergaenglich- keit des Unmittelbaren welche bewirkt, dass ich, um ueberhaupt lebensfaehig zu sein, keine Wahl habe als mich dem Jenseits anzuvertrauen. * * * * *
Inhaltsverzeichnis: Main Index