20050819.00 Es mag die groesste meiner Selbsttaeuschungen sein, dass ich in meinem sechsundsiebzigsten Lebensjahre meine lebenslange Bewunderung und Verehrung der Musik einer Probe unterziehe, und den Beschluss erwaege, dass ich mich moeglicherweise in dieser Verehrung getaeuscht habe. Jedenfalls habe ich mich ueberzeugt, dass es eben dieselbe Sehnsucht war, die mich zum Studium der Literatur und der Philosophie trieb, welche in der Musik ihre Befriedigung suchen wollte, so dass eine geglueckte musikalische Ausbildung die Not und die Sehnsucht welche mich anderweitig zum Geist und zur Dichtung trieb, behoben haette. Wenn ich versuchen darf, es in anderen Worten auszudruecken, die Musik haette fuer mich wie Kurzschluss des seelischen Erlebens gewirkt, eine Ableitung in musikalische Auffuehrungen von Kraeften welche zuletzt in Romanen und in philosophischen Aufsaetzen ihren muehevollen Ausdruck fanden. Die Wirkung der Musik ist einerseits unmittelbarer als die Wirkung von sprachlichen Werken; andererseits aber unspezifisch, ungezielt und ungegliedert, zwar geeignet das Gefuehl widerzuspiegeln und zum Ausdruck zu bringen, aber ungeeignet das Erleben zu gestalten und zu entwickeln, ungeeignet auch dem Leben Form zu geben und ihm ein Ziel zu setzen. Darueber hinaus wage ich die Erwaegung, dass vielleicht meine scheinbare Unfaehigkeit zur Musik, Ausdruck einer unbewussten aber nichtsdestoweniger eindeutigen Einsicht war, dass mir die Musik, das was ich am dringendsten bedurfte, nicht zu geben vermochte; und dass meine Neigung zur sogenannten Philosophie und zur Dichtung Beduerfnissen und Noeten nachkam welche in der Musik keine Befriedigung finden konnten. * * * * *

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