20051112.00
Der Beschluss der Erkenntnistheorie moechte sein, dass
es keinen kurzen oder gar leichten Weg zur Erkenntis, zum
Wissen gibt, es sei denn die Folgerung, dass ich nichts zu
wissen vermag. Diese Folgerung aber ist, in Abwesenheit
anderer Umstaende, leer. Bedeutsam wird sie nur im Rahmen
vermeintlichen Wissens, wie etwa im alten Athen, in Gegenwart
des Sokrates und der die Wahrheit beanspruchenden Sophisten,
oder in den Gefilden gegenwaertiger Wissenschaftshybris, oder
am bedeutsamsten, im Rahmen des eigenen unbefriedigten
Wissensanspruchs. Es ist ausgerechnet in dem Bewusstsein und
in der Einsicht in die Beschraenkung des eigenen Wissens, im
besonderen, in Anbetracht gegebener spezifischer
wissenschaftlicher Bemuehungen, dass Sinn und Wert der
Erkenntnistheorie am deutlichsten auftreten: denn hier
befaehigt sie den Einzelnen die Gestalt und die Grenzen
seines Wissens zu erkennen und zu verstehen; waehrend in
Abwesenheit von solchen spezifischen wissenschaftlichen
Bemuehungen die entdeckte Wissensluecke durch phantastische
vernunftwidrige Geistesgebilde ausgefuellt wuerde. Mit
anderen Worten: der Menschenverstand ist in Hinsicht auf
Wissen durch Horror vacui bezeichnet, vergleichbar mit dem
Horror vacui des Menschengefuehls in Hinsicht auf den
Glauben. Die Weisheit des Novalis: wo keine Goetter walten,
walten Gespenster, hat ihre Parallele in der Erkenntnis: wo
die Wirklichkeit ausbleibt, entsteht der Mythos.
Wenn wir nicht zu erklaeren vermoegen, wo die
geschichtliche Erklaerung versagt, behaupten wir Gott oder
Schicksal sei am Werke. Die Statistik beansprucht ja das
Unwissen zu ergaenzen, behauptet das Nichterkannte,
vielleicht sogar das Nichterkennbare, erkennbar, vielleicht
sogar erkannt zu machen, und in bestimmtem Masse aufzuheben;
vermag dies aber nur indem sie uns den Zufall andreht;
waehrend doch der Zufall nur ein anderer Ausdruck fuer unser
Nichtwissen ist.
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