20060509.01 Als Subjekt bezeichne ich das Vergangene, Gegenwaertige und Zukuenftige, das der Mensch an sich selbst erkennt. Als Objekt bezeichne ich das Vergangene, Gegenwaertige und Zukuenftige, das der Mensch an aller Welt ausgenommen seiner Selbst erkennt. Der Mensch ist Gesellschaftswesen, und seine objektive Erkenntnis ist Gesellschaftserkenntnis. Des Menschen objektive Erkenntnis ist Erkenntnis mit und durch die Gesellschaft. Vornehmlich ist Sprache ein Gesellschaftserzeugnis, bewirkt durch die geistige Zusammenarbeit der Menschen. Gleichfalls wird das Wissen von der Welt, die Wissenschaft, gemeinsam und gesellschaftlich, durch gesellschaftliche Symbolik, Sprache und Mathematik zum Ausdruck gebracht und vermittelt. Der Mensch aber ist so beschaffen, dass all sein gesellschaftliches, objektives Erleben von seiner Welt in ihm eine eigene private Resonanz ausloest. Diese individuelle Resonanz nenne ich die Subjektivitaet. Sie ertoent dem Menschen unabhaengig von und im Gegensatz zur allgemeinen oeffentlichen Kenntnisnahme. Man bezeichnet die Subjektivitaet als inwendig oder innerlich, weil dem Menschen sein eigener Koerper als ein Gehaeuse erscheint in dessen Mitte und Tiefe sein Bewusstsein waltet und lebt. Die Darstellung der objektiven Welt in welcher sie leben welche die Menschen einander erzaehlen, d.h. die Geschichte, ist die Beschreibung dessen was die Menschen erlebt haben, oder haetten erleben koennen, ist Beschreibung des Geschehenen oder Geschehbaren. Normaler Weise, ihrem Wesen nach, sind die Darstellungen der objektiven Welt vom unmittelbaren und mittelbaren Erleben der Menschen gestiftet, gesteuret und kontrolliert. Beschreibungen welche mit der erlebten Wirklichkeit nicht uebereinstimmen werden als falsch, irrtuemlich, unwahr stigmatisiert, abgesondert, verleugnet und aus dem kommunalen Gedaechtnis gestrichen. Die Beschraenktheit des Erlebnisbereiches des einzelnen Menschen bewirkt die Notwendigkeit die Gueltigkeit der ihm ueberlieferten Geschichte durch den Glauben zu bestaetigen. Der Einzelne glaubt nicht nur an die Wahrheit im allgemeinen; sondern er glaubt, dass bestimmte ihm ueberlieferte Einzelheiten wahrhaftig sind. Da der Erlebnisbereich der Menschen ein sehr weiter ist, und da der Einzelne nicht faehig ist, alles ihm Ueberlieferte auf Wahrheit, d.h. auf moegliche und wahrscheinliche Erlebbarkeit zu pruefen, wird die Wahrhaftigkeitskritik, d.h. die Entscheidung ob gegebene Geschichte wahr oder unwahr ist, zu einem wesentlichen Bestandteil der geistigen Taetigkeit. Aber auch die Wahrhaftigkeitskritik ist ein gesellschaftliches Unterfangen. Es bilden sich weitstreifende Traditionen betreffs dessen das als wahr oder als unwahr erkannt wird. Nichtsdestoweniger gibt es Punkte, Stellen, an welchen ein jeder Mensch genoetigt ist von einer vermeintlichen Begebenheit zu bestimmen, ob er sie glaubt oder ob er sie bezweifelt. So werden Glauben und Zweifel Merkmale des individuellsten Erlebens; und an dem Glauben und an dem Zweifel welcher sich von der allgemeinen Ueberzeugung abheben und ihr widersprechen, entzuendet sich die Individualitaet des Einzelnen. Am Glauben und am Zweifeln kommt des Menschen Ich, sein Selbst, auf eigenartige Weise zum Ausdruck und zur Offenbarung. Es bedarf keineswegs einer tieferen Analyse der Geschichte aufzuweisen, 1) dass die sprachliche Beschreibung in der Lage ist nur ein blasses, ein sehr blasses Bild der Wirklichkeit widerzuspiegeln; und dass es eines fortwaerhrenden Einsatzes der Einbildungskraft, der Phantasie des Einzelnen bedarf, um die Ueberlieferung glaubwuerdig, ueberzeugend zu machen. 2) dass die sprachliche Ueberlieferung keineswegs bestaendig und folgerichtig in ihrer Wahrheitsbehauptung ist. Vielmehr ist diese Wahrheitsbehauptung stets verdaechtig. Sie bleibt immer fragwuerdig. Es gibt viel Geschichte, die einst unter gegebenen Voelkern und Umstaenden als glaubwuerdig erschien, welche nun aber als irrtuemlich zurueckgewiesen wird. Diese Unbestaendigkeit und Unzuverlaessigkeit des einst Geglaubten, wird in der Umgangssprache mit dem Ausdruck Mythos bezeichnet. Der Begriff Mythos bezieht sich nicht, wie Cassirer und Schelling meinen, auf ein begrenztes definierbares Stueck der Ueberlieferung. Der Begriff Mythos bezeichnet eine Eigenart welche in groesserem oder geringerem Masse aller Geschichte, allem Erzaehlten, allem Erinnerten anhaftet. 1) Der Begriff Mythos ist Zeugnis fuer die Unzuverlaessigkeit der Geschichte als objektive gesellschaftliche Darstellungsweise. Der Mythos weist somit darauf hin, dass Glaube und Zweifel unerlaessliche Bedingung fuer die Konstatierung der Wahrheit sind; weist auf die unentbehrliche Rolle welche das Ich, die Subjektivitaet, in der Feststellung der Wahrheit hat. 2) Alle Geschichte ist mit dem Schmelz des Mythos behaftet. Der Mythos deutet auf die Unzuverlaessigkeit der Geschichte und der von der Geschichte beschriebenen gedeuteten Welt. Insoweit er die Unzuverlaessigkeit der objektiven Geschichte aufweist, schafft der Mythos den geistigen Raum fuer die Existenz des Selbst, das seinem Wesen nach ja auch, und eigentlich nur, in Abwesenheit des Objektiven bestand hat. Zweifel und Glauben sind die Mittel durch welche der Mythos die Gueltigkeit der Geschichte in dialektischer Weise aufhebt. Indem die Unaustilgbarkeit des Mythos den Common Sense zum Gegenstand des Gelaechters macht beweist und bekraeftigt sie die Rolle der Subjektivitaet in der Bestimmung der Wirklichkeit. * * * * *

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