20070122.00
Erstaunlich und Bedenken erregend ist die Dialektik der
Geschichte die in dem Abfall von der Einsicht des Sokrates,
dass er nur wuesste, dass er nichts weiss, zutage tritt.
Schon Platon, sein Schueler und Freund, hat, indem er sie
verkuendete, Sokrates Lehre untergraben als er sie mit der
Doktrin der Ideale zu ergaenzen suchte. Aristoteles war dann
der polare Gegensatz zu Sokrates. Waehrend Sokrates
behauptete ausser seinem Unwissen garnichts zu wissen,
behauptete Aristoteles alles zu wissen, indessen ihm bei
seinem Alleswissen sein tatsaechliches Unwissen entging.
Ich weiss nicht, ob Verallgemeinerungen dieser Art
nuetzlich sind, ob es der Muehe wert ist, sie ueberhaupt
auszusprechen: Doch scheint Mir Aristoteles als Vorlaeufer
unserer Wissenschaftler, und Platon als Vorlaeufer unserer
akademischen Theoretiker, der Schulphilosophen. Sokrates
bleibt der Prototyp des alleinstehenden, sich gegen die
Gesellschaft straeubenden und auflehnenden Gewissens. Alle
unabhaengig denkenden und fuehlenden Menschen laufen Gefahr
sein Schicksal zu teilen.
Es war unrecht von mir zu schreiben, dass bei seiner
enzyklopaedischen Darstellung alles dem Menschengeist
Bekanntem, Aristoteles das grundliegende Nichtwissen ueber-
sehen oder ueberschlagen hat. Die Tatsache des Nichtwissens
findet ihren unbewussten oder vielleicht auch bewussten
Ausdruck in dem aporetisch dialektischem Stil der Darstellung,
welche den Leser sehr oft zu keinem zwingenden Beschluss
leitet; und ihn des oefteren zu der Einsicht fuehrt, dass die
Wirklichkeit sich irgendwo und irgendwie jenseits des
Sagbaren, jenseits des Darstellbaren befindet.
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