20070524.00 Immer wieder, wenn ich mich in Rechtssachen betaetige, ueberwaeltigt mich das Erstaunen ueber die eigene Naivitaet. Denn immer wieder begegne ich dem Recht mit dem Vorsatz, dass das Recht (the law, nomos) vernuenftig sein muss; und immer wieder bin ich erschrocken und enttaeuscht, einzusehen, dass dies keineswegs der Fall ist: nicht nur weil die gepriesene "Wahrheit" der Zeugen unmoeglich ist, denn "das was geschieht hat einen solchen Vorsprung vor unserm Meinen, dass wir's nie einholn, und nie erfahren wie es wirklich aussah." (Rilke) Bekanntlich bezeichnen erfahrene Rechtsanwaelte die Gerichtsverfahren als "lying contests." Aber auch die schriftlich beurkundeten Gesetze und Amtsregeln, sind nachweislich widerspruechlich und widersinnig, - und dies in einem solchen Masse, dass es in der Besonderheit eines gegebenen Umstands unmoeglich ist, ein gesetzmaessiges Verhalten im Voraus zu bestimmen. Theoretisch waere ein unbestimmbares Gesetz verfassungswidrig, for failure to provide an ascertainable standard of conduct. Umso bezeichnender ist, dass alle an der Rechtsauffindung und Rechtsprechung beteiligten verpflichtet sind, so zu handeln, so zu sprechen, und so zu denken, als ob das Gesetz vernuenftig waere, und seine Anwendung gleichfalls vernuenftig zu sein vermoechte. Der Glaube an das Gesetz ist der urspruengliche Positivismus. Und das Versagen des Gesetzes, die Verzweiflung an dem Gesetz, ist das immer sich wiederholende menschliche Erleben, worauf z.B., die Christliche Religion gegruendet ist. Mich stimmt es traurig, - und laecherlich, - zu bedenken, dass Moritz Schlick und seinen Kohorten des Wiener Kreises, dieses grundliegende menschliche Erleben entgangen ist. Die Hinfaelligkeit der Gesetze laesst sich unmittelbar auf die Psychologie und Soziologie der Sprache zurueckfuehren. Das Wort beansprucht eindeutig zu sein, und doch "dass ein Wort nicht einfach gelte, das sollte sich doch von selbst verstehen." (Goethe, Divan) Das Zusammenwirken der Menschen in einer Gesellschaft beruht auf angeeigneten und anerzogener Eindeutigkeit des sprachlichen Ausdrucks und Verstaendnisses. Die Grenzen dieser Eindeutigkeit werden dann die Grenzen des Gesetzes. Die systematische fachliche Erziehung bewirkt immer nur ein beschraenktes Mass geistiger Gleichfoermigkeit. Was jenseits dieser Gleichfoermigkeit liegt, ist die Freiheit. * * * * *

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