20070917.00 Kierkegaards entscheidende (ausschlaggebende, pivotal) Frage, kann man meine ewige Seligkeit auf eine historische Tatsache gruenden? scheint, wenn man sie zuerst bedenkt, ungereimt (unangebracht). Denn die Frage ob meine ewige Seligkeit auf eine historische Tatsache gegruendet werden kann, setzt voraus dass so etwas wie "ewige Seligkeit" ueberhaupt besteht. Die Vorstellung, dass der Mensch einer ewigen Seligkeit teilhaftig zu werden vermoechte, ist unanfechtbar lediglich im Bereich einer einfachen, naiven, kindlichen Religiositaet, die sich die ewige Seligkeit als eine nie endende Lebensfeier ausmalt, eine Feier welche der Gottesvater niemals unterbrechen wuerde, indem er etwa seine Kinder zu Bett schickt. Der moderne, naturwissenschaftlich orientierte Mensch weiss mit einer solchen Vorstellung nichts anzufangen. Zwar auch er vermag sich mit der Vorstellung seines einstigen Nichtseins, mit der Gewissheit einst nicht mehr zu existieren, nur unbeholfen (linkisch) abfinden, und auch er ist mit der Angst vor dem Tode vertraut. Der moderne Mensch aber statt in kindliche Phantasie zu fluechten, laesst sich durch die Approximationen eines laengeren und gesunderen Lebens welche ihm die Wissenschaft vorgaukelt, ablenken. Von Zeit zu Zeit, wenn auch nur selten, begegnet man einem Menschen welcher sich scheinbar mit seiner Sterblichkeit abgefunden hat, welcher sich ruehmt (prahlt) nicht nur vor dem Tode keine Angst zu haben, sonderns auch behauptet sich mit der Aussicht (Erwartung) der entgueltigen Vernichtung von Koerper und Seele, von Fleisch und Bewusstsein, abgefunden zu haben. Doch scheint mir dass dies ein heikle Gemuetsverfassung ist, welche nicht so sehr auf den Mut und den nuechternen Wirklichkeitssinn des Betreffenden, schliessen laesst wie auf eine gewisse ethische und aesthetische Schalheit und Unempfindlichkeit. In jedem Fall (In any case) muss ich, wenn ich Kierkegaards Frage nach dem begruenden meiner ewigen Seligkeit auf historische Tatsachen ernst nehme, und wenn diese Frage ueberhaupt Sinn haben soll, mir und dem Leser Rechenschaft ablegen, was einerseits die ewige Seligkeit, was andererseits das historische Wissen, die historische Tatsache sein moechte. Es schiene dann, dass die Frage, was denn eigentlich eine historische Tatsache sei, ueberfluessig ist, da jedermann weiss was mit "historische Tatsache" gemeint ist; und tatsaechlich besteht in Betreff auf die Gueltigkeit des Vergangenen erstaunliche Einstimmigkeit. Hinter dieser vermeintlichen Bestimmtheit des historischen Faktums tut sich dann die Tatsache auf, dass die Vergangenheit sich bis in die Gegenwart erstreckt, und dass alles Geschehen historisch, d.h. erzaehlbar ist, und dass es nicht ein Zurueckgreifen in irgendwelche Tiefen der vergangenen Zeit ist worum es sich bei historischem Wissen handelt, sondern ein Erzaehlen, ein Berichten, eine gesellschaftliches Unterweisen welches zu einem kuenstlichen (artificial) Erleben Ausschlag gibt. Das deutsche Wort Geschichte weist auf das Geschehen welches im Gespraech, im Ausspruch gefasst (captured) wird; dessen existentielle Wirklichkeit sonst aber voellig unerreichbar ist. Das Wesen der historischen Tatsache liegt in ihrem sprachlichen Gehalt, Geschichte ist Erzaehlung, wie auch der englische Ausdruck (his)tory bestaetigt. Somit ist die historische Tatsache im Grunde eine gesellschaftliche Erscheinung (Phaenomen). Was besagt nun also der Ausdruck "ewige Seligkeit"? Die beiden Worte an sich scheinen mir den Schluessel zu bieten. Ewig ist nicht was bestaendig bleibt, sondern was sich stets erneut, was stets wiederkehrt, denn unsere Wahrnehmung (Bewusstsein, Bewusstheit, awareness) ist ihrem Wesen nach episodisch. Ewig heisst soviel wie nie widerrufen, nie verneint, nie geloescht. Uns was hiesse Seligkeit anders als die Abwesenheit von Schmerz und Sorge und Leiden. Denn das reine, pure Leben an sich, ungestoert von Schmerz und Qual, ist selig. Dies Seligsein des Lebens ist eine vom Einzelnen erlebte Erfahrung, und steht als solche im Gegensatz zu einem gesellschaftlichen Konsens, im Gegensatz zu gesellschaftlichem Uebereinkommen. Diese Begriffsbestimmungen werfen ein erklaerendes Licht auf Kiekegaards Dichotomie. Denn die ewige Seligkeit ist ein und fuer alle mal innerlich, subjektiv; sie kann nicht anders sein. Eine gesellschaftliche ewige Seligkeit ist ein Widerspruch. Nur der Einzelne vermag selig zu werden, die Gesellschaft nie. Die historische Begebenheit, andererseits ist ein und fuer alle mal aeusserlich, objektiv; sie kann nicht anders sein weil sie nur in der Sprache, der ausser-individuellen Gesellschaftsbindung existiert. Es handelt sich also um einen Konflikt zwischen dem Innerlichen, der ewigen Seligkeit, und dem Aeusserlichen, der historischen Tatsache. Es ist dieser Konflikt, das durchdringende Thema der kierkegaardschen Schriften welcher Kierkegaard im Paradox des Christentums erkennt, und der ihn letzten Endes ans Christentum fesselt. * * * * *

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