20080506.00
Ich bezweifle, dass Luther mit meiner Deutung seiner
Bibelauslegung zufrieden gewesen waere, kann aber dennoch
nicht umhin darauf hinzuweisen, wie sich in seiner
Glaubenslehre Philologie, Psychologie und Theologie
ergaenzen. Naemlich in folgender Weise:
Luther gruendet sein Verstaendnis des Menschen auf
sein Verstaendnis vom Wort, will sagen, auf sein
Verstaendnis vom Wort Gottes. Das Wort das die Feinde
sollen lassen stahn ist das Wort Gottes. Nun kommt alles
darauf an Wo ist und Wer ist Gott? Ist Gott Innerlichkeit,
das Bewusstsein, das Wissen und die Sicherheit die der
menschlichen geistigen Taetigkeit Wirkung und Wirklichkeit
ist, so erscheint das heilige, das allmaechtige Wort als
ein ueber das schriftliche Wort vertieftes und
verstaerktes. Das Heilige Wort erschiene dann als die
Sprache, als das Sprachvermoegen selbst. Wenn es der
Theologie gelingt diesen Punkt, dieses Stadium der Einsicht
zu erreichen, dann haette sie auch den Schluessel fuer das
Erkenntnisphaenomen gefunden.
Denn weshalb sollte nicht auch das heilige Wort die
Eigenschaft haben, und besonders dieses, objektiv, d.h.
gesellschaftlich, zwischen-menschlich, nach aussen hin eine
Vorstellungswelt zu schaffen und den Menschen in diese
einzubinden. Ist es nicht dieses das bewiesen wird, wenn
die Gemeinde sich erhebt und unisono erklaert:
Credo in unum deum, factorum coeli et terrae, et in
unum domunum Jesum Christum, qui locutus est per prophetas
ante omnia secula, ... et in Spiritum sanctum,
vivificantem...
Man wird es mir veruebeln, und man wird mich nicht
glaubwuerdig finden wenn ich die Frage stelle: In welcher
Weise und aus welchen Gruenden unterscheiden sich diese
auswendigen Lehrsaetze des kirchlichen Glaubens von den
auswendigen Lehrsaetzen zum Beispiel des Euklid. Diese
Frage und ihre Antwort aber lenken ab und leiten auf ein
anderes Thema. Arguably, waere das dogmatische
Glaubensbekenntnis ein Fehler, ein Irrtum, ein Irrweg, -
das aber braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn
selbst abgesehen von dem dogmatischen Gebrauch, von der
dogmatischen Anwendung des Wortes im Glaubensbekenntnis,
wird das taegliche Leben der Kirchenmitglieder und die
Verhandlungen unter ihnen, und das Geschaeftsleben der
Kirche, und was nicht alles sonst an praktischen
Bemuehungen und Berechnungen den praktischen Calculus des
Wortes bezeugen.
Aber am ueberzeugendsten fuer meine Analogie finde ich
ist das Wort als Traeger der Geschichte, die Erzaehlung, in
diesem Kontext Das Evangelium benannt, welche vor allem den
Anspruch macht, geglaubt, das heisst, innerlich bestaetigt
(confirmed, validated) zu werden. Die Ueberlieferung
welche hier den so klaren und unbestreitbaren Uebergang in
einander von Zeugnis, Erinnerung Beurkundung, Erzaehlung,
Geschichte und Mythos aufweist.
Und der das gesehen hat der hat es bezeugt und sein
Zeugnis ist wahr, und derselbige ... auf das ihr glaubet.
Die vermeintliche Heiligkeit des Wortes dient hier zur
Verwandlung (transmutatio, transformation) des Wortes vom
Unglaublichen zum Wahren. Wohl bemerkt aber: Dies ist aber
eine Eigenschaft des Wortes welche nicht von der
kirchlichen Gutachtung (Bestaetigung) abhaengig ist. Diese
Eigenschaft des Wortes welche das Unglaubliche in Wahrheit
verwandelt ist eine Eigenschft des menschlichen Geistes,
des menschlichen Gemuets, welche in jeder Rezitation der
"Geschichte" zum Ausdruck kommt. Und diese Eigenschaft das
Unglaubliche in Wahrheit zu verwandeln ist derartig
erfolgreich, wirksam, effective, compelling, dass der
Glaubende, - und jeder Historiker erscheint nun als ein
Glaubender, - zwischen Unglaublichem und Wahrem nicht mehr
zu unterscheiden vermag. Es ist ja praezise die Eigenart
des Glaubens dass er das Geglaubte wahr und wirklich macht:
und somit den Weg, die Wanderung, die Odyssee vom Unglauben
zum Glauben vertuscht (covers up, conceals)
Und eben dies ist dann ja auch das Kernproblem aller
Erkenntnistheorie, dass die Erkenntnis wenn sie einmal
akzeptiert ist, den Weg zu ihrer Akzeptanz, zu ihrer
Verwirklichung, vertuscht, verbaut, und unkenntlich macht.
Ergo: Vivat der Zweifel und der Zweifelnde!
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Dieser Erguss auf Nantucket von acht Uhr bis neun Uhr
morgens. und jetzt an die Arbeit!
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