19970723.00

     Das Gesellschaftparadox widerspiegelt sich in der Beziehung
der Menschen zu einander auf verschiedenen Ebenen.  Die
Fortpflanzungsnot bedarf des Mannes und der Frau.  Sie tun sich
instinktmaeszig zusammen und zeugen ihre Nachkommen.

     Der Handel, die gewerbsmaeszige Zusammenwirken der Menschen
ist fast unentbehrlich fuer das taegliche Leben.

     Doch ganz abgesehen von der Zeugung und vom praktischen
Zusammenwirken sehnt sich der Einzelne nach Freunden, nach einer
menschlichen Umgebung.

     Diese Sehnucht, die Beduerfnis nach Gesellschaft bewirkt
Gefuehle der Zusammengehoerigkeit mit anderen Menschen; die
Gefuehle der Zusammengehoerigkeit haben ihren klarsten,
eindeutigsten (conclusive), entgueltigsten Ausdruck als die
Liebe, die Naechstenliebe, die bruederliche Liebe.

     "Du sollst lieben," wie Kierkegaard es so umstaendlich
darstellt, ist anders gesagt, "Du muszt lieben", um Mensch zu
sein, d.h.  um Subjekt zu sein. Je mehr ein Mensch subjektiv
wird, je staerker und tiefer er in sich dringt, je klarer seine
Beziehung zu sich selbst und zu seinem Gott, zu dem Goettlichen
in ihm, umso unvermeidlicher, dringernder (und klarer) wird die
Notwenigkeit des Liebens.

     Es ist hier als ob das aufsich selbst bezogene, das insich
selbst besonnene Individuum als Ausgleich, als Gegengewicht fuer
tiese diese Vertiefung, fuer diese Last des Selbstseins, die
Vorstellung, die lebhafte Gegenwart des NMaechsten, des anderen
des geliebten Menschen beduerfte.

     So sehen wir das gewoehnliche Dasein, wo der Mensch sich
selbst kaum kennt, sich seiner selbst kaum gewahr ist, und wo er
den anderen Menschen kaum wahrnimmt, es sei denn als Mittel zu
seinen eigenen Zwecken.  Je tiefer ein Mensch sich selbst
erfaszt, je wesentlicher erscheint als Bestandteil seines Ich die
Liebe zu anderen Menschen.  Es mag dahingestellt bleiben, ob die
Liebe zu anderen Menschen der Weg zu sich selbst ist, oder
umgekehrt ob die Besinnung um sich selbst die Liebe als den Weg
zu den anderen Menschen eroeffnet.

     Um Miszverstaendnisse zu vermeiden, musz betont sein, dasz,
so wenig wie Begierde Erfuellung ist, so wenig ist Liebe
Freundschaft oder Gemeinschaft.  Die Liebe keimt, blueht und
fruchtet (traegt Fruechte) in Einsamkeit; sie erscheint manchmal
als ein verzweifelter Versuch die Einsamkeit zu ueberbruecken, zu
ueberwinden.  Und doch ist die Liebe ohne das Selbstsein
undvorstellbar.

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