19971026.02
Seit Tagen stoeckele ich an einem Aufsatz ueber das
Vaterunser herum. Weisz nicht, weshalb mir die Zusammenstellung,
die Komposition nicht gelingen will; ist es weil ich alt werde,
oder vielleicht weil ich den Fehler gemascht habe, Englisch zu
schreiben, und so auch Englisch zu denken, oder dies jedenfalls
zu versuchen.
Jedenfalls scheint mir die Deutung des Vaterunser eine sehr
naheliegende, fast selbstverstaendliche. Das Gottesbild das dort
gemalt wird ist, die Vorstellung vom goettlichen Vater im Himmel,
dessen Name geheiligt wuerde, dessen Reich komme, dessen Willen
jetzt im Himmel, bald aber auf Erden geschehen wird; von dessen
Hand und Guete, statt vom Zufall, wir unser taeglich Brot und was
immer sonst noch fuer unser koerperliches Wohlsein notwendig ist,
erhalten. Das alles ist doch gerade das Entgegengesetzte zu
unserer Erfahrung. Der Wille und das Reich Gottes sind heute
doch so fern wie sie je waren. Dasz der Mensch seinen
Mitmenschen ihre Schulden erlassen sollte ist doch heute so
unmoeglich wie es seit jeher gewesen, ebenso unmoeglich als wie
wenn der Mensch aufhoeren sollte Wasser zu trinken oder Luft zu
atmen. So ist den dies Gebet eine Litanie menschlichen Leidens
und menschlicher Unzulaenglichkeit; und es bietet als solches
einen Schluessel zum Wesen der Religion im allgemeineren. Gott
ist der Gegenspieler des Menschen, und Gottes Rolle auf der
Buehne unserer Vorstellung ist die Beschraenktheit und
Hinfaelligkeit unseres Daseins aufzuwiegen. Mittels unserer
zweideutigen Beziehung zu Gott versuchen wir uns ueber die
Beschraenktheit unseres Wesens hinwegzusetzten und
hinwegzutroesten.
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