19980309.01
Ich finde es bemerkenswert, dasz die sogenannte Ethik, als
die Beschreibung, die Vorschrift dessen was der Mensch tun soll,
stets theoretisch, stets vom Gesichtspunkt des Gedankens der
Vorstellung, der geschriebenen oder ungeschriebenen Vorsaetze
oder Gebote, einer menschlichen, einer goettlichen, und hin und
wieder einer naturhaften Bestimmung (Gesetzgebung) (Darwin)
erscheint. Auch den groszen englischen Humanisten, Locke und
Hume, scheint es nicht eingefallen zu sein, dasz die Ethik,
gleich jeder anderen Wissenschaft, empirisch aufgezogen werden
moechte, und das Handeln der Menschen, und von Golgatha bis
Auschwitz das Gebaren der Taeter nicht weniger als das der Opfer
(victims) als Naturgegebenheit hingenommen, die weder
gerechtfertigt noch gescholten, sondern immer nur verstanden und
vielleicht zuweilen erklaert sein will.
Es versteht sich von selbst, dasz eine solche empirische
Ethik den Zweck menschliche Handlungsweisen zu bestimmen und zu
kontrollieren gaenzlich verfehlen mueszte (wuerde); im
gewoehnlichen Sprachumgang unterscheidet man zwischen Gesetzen
deren Verbruchs der Strafe unterliegt: im Falle weltlicher Gebote
von Seiten der Polizei oder von anderen weltlichen Gerichten im
Falle goettlicher Gebote vom Pfarrer oder Papst, von der Curia
oder anderen kirchlichen Consilien, und nach dem Tode, im
jenseits, vom Satan als Gottes gehorsamen Gerichtsvollziehers und
Gefaengniswaerters.
Mit den weltlichen Geboten nimmt man es in gut buergerlichen
Kreisen ziemlich ernst, vornehmlich, weil man sich viele Gueter
zugelegt hat deren Besitz man nicht gefaehrden will. Genauer
betrachtet gibt es nicht zwei, sondern drei Grade der
Gesetzesobeisance (Gesetzesgehorsam). Den voellig verarmten,
oder, was das selbe bedeutet, aus der Gesellschaft verstoszenen,
kuemmern die Gesetze nicht, denn er hat nichts zu verlieren. Den
uebermaeszig Reichen kuemmern sie auch nicht, denn er steht ueber
ihnen. Er bedient sich ihrer als Beherrschungsmittel seiner
Mitmenschen, als Zwang und Drohung um seine Mitmenschen zu
beherrschen. Er selbst fuehlt sich aber nicht durch sie
gebunden; denn er hat Geld genug Anwaelte zu bestallen, die die
Gesetze zu seinem Vorteil ziehen und zerren, um die Richter und
die Geschworenen zu bestechen, um guenstiges Zeugnis aufzukaufen,
um, in dem modernen demokratischen Staat durch Fernsehwerbungen
die allgemeine Meinung fuer sich zu stimmen, und so mit dem
entgueltigsten ihm zur Verfuegung stehenden Mittel, seinen
Prozess, sein Verfahren zu einem erfolgreichen Ende
durchzufechten.
Ist Ethik die Beschreibung (account) dessen, was getan wird
oder dessen was getan werden soll? Am Anfang der Betrachtung
erscheinen die Pole dieser Alternative als wesentlich
unterschieden. Es ist belehrend zu ueberlegen, wie sie am Ende
doch in einander muenden. (converge).oErstens: das
Selbstbewusztsein, welches behauptet, die Ethik sei das was getan
werden musz, is by virtue of its subjectivity, unassailable;
while that same subjectivity renders it ineffectual in the
political or social world. It is when the subjective
determination of what is our should be the right (das Rechte)
purports (sich anstellt) to legislate, to extend its dominion
over the subjectivity of others as well, to become objective law,
that it falters and fails; that it loses its subjectivity and
comes into conflict with the equally adamantly assertive
determinations of others.
So ergibt sich aus der Unbestimmtheit des Ethischen, eine
neue, und eigentlich unerwartete Demonstration der unvollkommenen
Zusammengehoerigkeit von Individuum und Gesellschaft. Die
inwendige, subjektive Ethik laeszt sich nicht verallgemeinern.
die auswendige, objektive Ethik aber laeszt sich nicht aufrecht
erhalten, weil ihr unzaehlige andere Ethiken widersprechen.
Diese Widersprueche aber werden geloest nur in dem politischen
Verfahren der Gesetzgebung.
Es ergibt sich bei unserer Betrachtung die Unbestimmtheit,
ob es der Zweck der Ethik waere, die Handlungsweise der Menschen
zu bestimmen, zu dirigieren, oder aber ob es der Zweck der Ethik
waere, diese Handlungsweises (nur) zu beschreiben. Je nachdem
wie man die Ethik nummt, ergeben sich Schwierigkeiten aus dem
Unterfangen eine Ethik zu konstruieren.
Beabsichtigt man eine beschreibende Ethik, eine Ethik, die,
gleich einer Anthropologie, sich damit zufrieden gibt
aufzuzaehlen, was die Menschen tatsaechlich tun, so ist die
Schwierigkeit in der unvermeidlichen, und tatsaechlich
unueberbrueckbaren Kluft zwischen dem, was geschieht und was die
Sprache davon wiederzugeben vermag. Die Ethik ist also
unbestimmt, ist Annaeherung, Approximation wie alle Geschichte;
sie bekommt etwas Geschichtenhaftes, Maerchen, Mythenhaftes. das
an das gegenwaertige Erleben des Menschen nicht heranzureichen
vermag.
Hat man es aber auf eine vorschreibende, eine praeskriptive
Ethik abgesehen, so stellt sich sofort heraus, dasz dergleichen
Ethik ein Voraussagen, ein Vorbestimmen, eine Antizipation der
Wirklichkeit, des wirklichen Erlebens voraussetzt, welche
schlechthin unmoeglich sind. Schon deshalb wird eine
vorschreibende (gesetzgebende) Ethik in jedem gewissenhaften
Sinne versagen. Was uebrig bleibt sind Gesetze, Anweisungen
welche genau betrachtet am wirklichen Erleben vorbeizielen.
Solche Gesetze muessen politisch entworfen, festgelegt,abgemacht
werden, und werden dann politisch ausgefuehrt; und haben weder in
ihrem Ursprung noch in ihrem Wirken mit dem unbedingt Guten etwas
zu tun, es sei denn, dasz dies unbedingt Gute zuletzt doch nichts
weiter als ein politisches Abkommen, ein gesellschaftliches
Uebereinstimmen sei.
Dergleichen Erwaegungen wollen darauf hinaus, fuehren zu dem
Beschlusz, dasz die Ethik, wenn sie irgendetwas ist, ein
inwendiges, ein innerliches Bestreben, ein Drang, ein Durst, ein
Hunger nach dem was der Mensch das Gute nennt ein musz. Dasz
kein Protokoll, keine Beschreibung, keine Spezifikation an eine
solche Ethik heranreichen kann (erreichen kann); dasz sie ein
Koennen, eine Faehigkeit des Einzelnen ist; eine Faehigkeit die
er, so wie sich ihm die Gelegenheit bietet, ausuebt, weil sie
ausziueben nun eben einmal zu seinem Wesen gehoert.
Die Kompendien, die Lehrbuecher, die gelehrten und
tiefsinnigen Anleitungen zu dem ethisch Wertvollen sind, dienen,
wie alle andere (philosophische) Literatur als Uebungen, Etudes,
exercises, cwdie zwar zur Entwicklung des ethischen Bewusztseins
des Einzelnen beitragen; dieses aber keineswegs bestimmen.
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