19980310.00
Es ist enttaeuschend und zuweilen gar bedrueckend sich in
der Behandlung sogenannter philosophischer Fragen stets am
Anfang, dasz heiszt am Rande der eigentlichen Aufgabe zu
entdecken. Meint man doch, es ginge darum, wie auf einer Reise,
auf einer Wanderung, fortzukommen, seinen Ausgangsort so weit
zurueck zu lassen, dasz man ihn, rueckblickend, am Horizont kaum
noch zu erkennen vermag, indessen das erstrebte Ziel wie eine
verheiszene Stadt sich immer und immer groeszer auftut, bis es
das ganze Gesichtsfeld, das ganze Bewusztsein besetzt, bis der
Wanderer voellig in ihm (seinem Ziele) aufgeht.
Dergleichen Darstellung scheint mir auf einem
Miszverstaendnis des Denkverfahrens zu beruhen. Denn was
verstanden werden will, was zu begreifen ist, ist nicht ein
Entlegenes, ist kein Entferntes das in jenseits einer weiten
Reise zu erreichen ist. Es ist im Gegenteil das Naechstliegende,
das dem Erleben unmittelbare, das begriffen sein will; und das
begriffen werden kann, nicht von einem entlegenen erkuenstelten
Standpunkt, sondern vom Standpunkt des spontanen, sich ewig neu
erschlieszenden Bewusztseins.
Man verkennt die Unmittelbarkeit der Aufgabe. Man begiebt
sich auf ausschweifende Excursionen, zwecks derer man sich eine
unnuetze logische Maschinerie zumsammenbastelt die ablenkt und
verleitet, und die dem Nachkommen der Aufgabe nur im Wege steht.
Die Entwicklung welche der Loesung der Aufgabe unentbehrlich ist,
ist keineswegs eine Entwicklung der Begriffe; es ist eine
Entwickung des Gemuets desjenigen der sich des Verstehensversuchs
erdreistet.
Und das Ziel, das Ziel ist keineswegs die Eroberung einer
entlegenen, der Stadt der Wahrheit. Das Ziel ist nicht einmal
des Einzelnen Einbuergerung in eine solche. Das Ziel ist ja die
Erkenntnis, dasz das gelobte Land ein Traum, dasz die ersehnte
Stadt eine Fata Morgana war, dasz es keine Wahrheit gibt, oder
jedenfalls, dasz es sie nicht dort gibt, wo man sie suchte, dasz
es sie nicht so gibt, wie man sie sich vorstellte. Die Aufgabe
ist nicht ein entferntes Ziel zu erreichen, nicht die Wahrheit zu
entdecken und auszuposaunen, sondern mit der Geringkeit des hier
und jetzt, mit der Unwahrheit fuerlieb zu nehmen. So wie die
Aufgabe des Lebens die Sterbensbereitschaft ist; so ist die
Aufgabe des Denkens das bewuszte, wissende, willige, freiwillige
Einbeziehen der Unwahrheit in unsere Existenz, Dies ist die
einzige Wahrheit, deren wir faehig sind, die uns zukommt.
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