19980330.01
Wenn Kierkegaard vom Widerspruch zwischen dem Endlichen und
Unendlichen schreibt, so verstehe ich das als Ausdruck fuer die
Muehen und Sorgen, fuer die Unzulaenglichkeiten der menschlichen
Existenz; und es scheint mir durchaus nicht klar, weshalb diese
Unzulaenglichkeit ausgerechnet in dieser Formel dargestellt
werden sollte; oder welche Formel eine passendere, gueltigere
waere.
Vielmehr bin ich geneigt anzunehmen, dasz tatsaechlich diese
Ausfuehrung nur eine unter vielen anderen moeglichen ist, mit
welche sich auf die Problematik der Existenz hinweisen laeszt.
Platon hat es den Konflikt zwischen Seele und Koerper bezeichnet.
In der juedisch-christlichen Ueberlieferung ist es der Kampf des
Guten mit dem Boesen. Bezeichnend scheint mir, dasz diese
Unzulaenglichkeit nur dialektisch zum Ausdruck kommen kann, als
Widerspruch. dasz jeder Anspruch dieser Unzulaenglichkeit
zureichenden eindeutige begriffliche Erklaerung zu verleihen eine
Taeuschung ist, Selbsttaeuschung oder gegebenenfalls auch eine
Taeuschung anderer, eine Luege also.
Bemerkenswert ist der hohe Wert mit welchen das sachliche
Einverstaendnis der Menschen unter einander belegt wird. Das ist
das Wesen des gesellschaftlichen Zusammenwirkens; und obgleich es
unvorstellbar ist, dasz der Mensch schon jemals einsam und
abgetrennt haette existieren koennen oder woolen, so ist es doch
denkbar, dasz eine hoehere Bevoelkerungsdichte und die technisch-
wissenschaftlichen Neuerungen welche diese erhoehte Dichte
ermoeglichen, und welche, ganz allgemein, dem gesteigerten
Reichtum der neuzeitlichen Gesellschaften zugrunde liegen, auf
einem entsprechend groeszeren Ausmasz der Verallgemeinerung
(Objektivierung) geistiger Taetigkeit beruhen.
Mir faellt Thomas Manns seichte Unterscheidung von Buerger
und Kuenstler ein, wobei mir klar ist weder was er sich unter
Kuenstler noch unter Buerger dachte, es sei denn eine
oberflaechliche, fast nichtssagende Unterscheidung. Diese
Begriffe aber gewinnen tiefere Bedeutung, wenn man den Kuenstler
als einen solchen ansieht, der sich straeubt sich ins
Gesellschaftsleben einzufuegen, indessen der Buerger, sei es als
Kaufmann, als Wissenschaftler, oder in Kierkegaard's Welt, als
akademischer Philosoph, diese Assimilation, diese Aufgabe (dieses
Aufgeben) seiner selbst, seiner Subjektivitaet, zur Tugend macht.
So wie Schlachten von entaeuszerten, wohl dressierten
marionetten-artigen Soldaten gewonnen werden, und Staedte und
Laender von aehnlich dressierten, von sklavenartigen Arbeitern
erbaut werden, so werden auch Wissenschaften, so wird der Umkreis
menschlichen Wissens mittels sachlichen, objektiven,
unpersoenlichen geistigen Wirkens aufgebaut. Ich leugne,
bezweifele nicht einmal, dasz beim Anbruch (inception) und bei
der Durchfuehrung solcher Arbeiten das Subjektive stark im Spiel
ist, ja sein musz, aber ebenso unverkennbar ist es, dasz dieses
Subjektive letzten Endes dem Objektiven untergeordnet und
geopfert werden musz.
* * * * *
Zurueck : Back
Weiter : Next
1998 Index
Index