19980415.00

     Kierkegaard schreibt verschiedentlich ueber was es bedeutet
ein Mensch zu sein, und faszt diese Vorstellung des Menschseins
in dem Begriff des Existierens zusammen. Als Grenzbestimmung des
Existierens beschreibt er den strebsamen Privatdozenten, den
ehrsuechtigen Professor; eine Karikatur welche den Vergleich mit
Goethes Faust und Wagner nahelegt.

     Die Erklaerung fuer diese ausgesprochene Abneigung vom
akademischen Philosophentum ist nicht weit herzuholen. Nietzsches
Gleichnis vom Eisen das den Magneten haszt weil er nicht stark
genug ist es an sich zu ziehen gilt auch hier. Ich stelle mir den
jugendlichen Kierkegaard als einen Menschen vor der sich
ungeheuerlich vom Geistigen angezogen fuehlte; dem das Geistige
(wie einst mir selber) in der Universitaetswelt verkoerpert
entgegentrat; dem seine Leidenschaftlichkeit aber dennoch nicht
erlaubte sich ihm zu verschreiben; dessen Klarsichtigkeit sich
die Irrtuemer der bestehenden Philosophie nicht zu verhehlen
vermochte.  Unter diesen Umstaenden waren Ablehnung und Angriff
naechstliegend; vielleicht unvermeidlich.

     Wobei jedoch der wesentliche Irrtum nicht zu uebersehen ist,
dasz auch die bestehende Gelehrsamkeit menschlich war (und ist);
dasz insbesondere (ausgerechnet) die Verhuellung des Menschlichen
welche die Gelehrsamkeit fordert, menschlich ist.  Die Aufgabe
aber welche sich aus diesem Menschlichen ergibt, ist nicht es zu
verurteilen, sondern es zu verstehen.  um durch die Gnade des
Verstehens von dem sonst unabwendbaren Schicksal den Irrtum zu
wiederholen erloest zu werden.

     Danach erscheint die romantische idealistische Philosophien,
das Ziel von Kierkegaards Verachtung, in einem anderen Lichte,
nicht unverwandt mit Kierkegaards eigenen Idealisierungen und
Verallgemeinerungen in Betreff auf das Menschsein, in Bezug auf
das Existieren und auf das Verhaeltnis des Menschen zu Gott.
Wichtiger aber fuer die geistige Problematik der Gegenwart ist
die Verwandtschaft der modernen wissenschaftlichen Denkungsart,
als eine ausgesuchte Spezies der Idealisierung, mit den weniger
raffinierten doch umso offenkundigeren begrifflichen
Verallgemeinerungen eines Fichte oder Hegel.  Bezeichnend, im
einen wie im anderen Falle, ist die anspruchsvolle Herrschaft des
Begriffes ueber das Erleben. Im Falle der Wissenschaft ist diese
Vorherrschaft (Hegemony) der Begriffe pragmatisch gerechtfertigt,
ohne dasz die Nutzbarkeit, wie grosz sie auch immer sei, dazu
genuegen koennte, den Begriff erlebnisgetreu oder erlebniswahr zu
machen.

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