                           19980723.00

     Mir ging soeben, indem ich an meinem Manuskript, Die Freunde
arbeitete, die Frage durch den Sinn, wie denn Karl Vietor, er
wurde in diesem November hundertundsechs Jahre alt, meine Arbeit
beurteilt haben wuerde.  Und die Antwort, die ich mir darauf
geben musz, ist dasz er wahrscheinlich abgelehnt haette, es
ueberhaupt zu lesen; nicht, weil er es objektiv minderwertig
gefunden haette, sondern weil er beruflich nur den Wert des
Geschichtlich bedeutenden anerkennen durfte, und sein Amt war ihm
in solchem Masze eingefleicht, dasz diese ihm beruflich
aufgedraengte Wertung seine eigene geworden war.

     Ich musz es mir ja selbst zugestehen, wie viele Jahre ich
daran gesetzt habe selbst oeffentlich zu wirken.  Aber die
Umstaende machten dies unmoeglich, und es ist mir sogar gelungen,
aus der Not eine Tugend zu machen.  Denn ich habe mich laengst
ueberzeugt, dasz es so besser ist.

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     Zwischen der Anmaszung alles lesen zu wollen, und ihrem
Gegensatz, nichts zu lesen, ist kaum ein Unterschied.  Denn beide
Extreme behaupten das Ich.

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