19980902.00

     Es ist gut, scheint mir, ueber Regierungsbegriffe ganz im
Allgemeinen nachzudenken.  Die Vorstellung (der Begriff)
Regierung bedeutet ja, dasz die Handlungen des Einzelnen nicht
aus eigener Willkuer geschehen sollten, sondern einem fremden
Willen gemaesz.  Ein Mensch, ein Wesen, das regiert wird, hat in
dieser Beziehung und in entsprechendem Masze die Autonomie, die
Selbstregierung, aufgegeben, ist zum Diener, zum Hoerigen, zum
Sklaven, eines ihm fremden geworden. Ob oder inwiefern die fremde
regierende Macht ein Begriff oder eine Person sein sollte, mag
vorerst dahingestellt bleiben. Der Mensch aber begehrt
unabhaenging, sich selbst bestimmend, er begehrt frei zu sein.
Die notwendige gesellschaftsbedingte Einschraenkung seiner
Freiheit und sein Freiheitsdrang stehen in unloeslichem
Widerspruch, in unschlichtbarem Konflikt.

     Dieser Konflikt wird durch die (protestantische) Religion
auf bewundrungswuerdige, einzigartige Weise behoben. Indem Gott
aus der Gesellschaft herausgeloest wird, zu einem eigenen inneren
richtungs- und rechtgebenden Wesen umgestaltet wird. So dasz der
Mensch nunmehr nach eigenen inneren Gesetzen handelt, und dasz
ihm diese inneren Gesetze die aeuszere Freiheit verbuergen.  Die
Loesung aber ist nur scheinbar; sie verlegt den Widerspruch auf
ein anderes Gebiet. Denn nunmehr liegt es dem Einzelnen ob die
Gesetze welche (vermeintlich) der inneren Unabhaengigkeit
entspringen mit dem ihm von der Gesellschaft auferlegten Zwang zu
vereinbaren.  Die gesamte Gesellschaftlehre und politische
Theorie der Reformation ringt mit eben diesem Problem, ohne es
auch nur in der geringsten Beziehung zu loesen.

     Wir stellen es uns vor, und wahrscheinlich mit einiger
Berechtigung, dasz der urspruengliche Herrscher der Starke war,
der Kraft hatte seine Untertanen zum Gehorsam zu zwingen. Die
Kette von Sieger, Held, Koenig, Herrscher ist zu ueberzeugend
(zwingend) als dasz man sie zu leugnen vermoechte. Wenn nun zu
unserer Zeit die Uebermacht nicht auf koerperlicher sondern auf
geistiger Staerke beruht, so erklaert sich daraus der hohe Wert
welchen wir der Intelligenz und der Ausbildung des Geistes
zurechnen. Denn es ist mittels des Geistes dasz wir unsere
Mitmenschen regieren.

     Jeder will Herrschen. Keiner will beherrscht sein. Jeder ein
Herr, keiner ein Sklave. Das, scheint mir, ist ein natuerlicher
Trieb.  und doch scheint sich aus der Gesellschaftsordnung die
Ueber und Unterordnung der Menschen einander gegenueber notwendig
zu ergeben.  Dies schon weil die Menschen verschiedene
Faehigkeiten besitzen, und weil in der Zusammenarbeit die schwere
Last nur von dem Staerkeren gehoben werden kann, das ferne Ziel
nur von dem Scharfsichtigeren in Auge gefaszt, und nur der
Kluegere die dunkle Entscheidung guenstigst zu faellen vermag.

     Die Zwecke welche die Gesellschaft beabsichtigt finden ihren
Ausdruck in den Gesetzen.  Die Gesetze sind Anweisungen: "Du
sollst ..."  durchaus vergleichbar mit den Anweisungen die der
eine Mensch dem anderen gibt.  Hier aber sind es die Weisungen,
von auszen oder von innen, eines Herrschers, sei er nun
menschlich oder goettlich.

     Es ergibt sich die Frage ob es auch in Abwesenheit der
Gesellschaft, ob es in Abgetrenntheit und Innerlichkeit Gesetze
gibt.  Aber diese Frage widerlegt sich selbst, insofern die
seelisch-geistige-koerperliche Entwicklung des Menschen sein
Dasein also von seiner Verwicklung in die Gesellschaft
unabtrennbar ist.

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     Der Egalitaetsanspruch: Eine der Folgen des Konflikts
zwischen dem Freiheitsbeduerfnis und der Gesetzesnotwendigkeit
ist die Behauptung der Gleichheit der Menschen die doch so
offenbar einander ungleich sind. Liberte, egalite, fraternite:
diese Losungen der Revolution sind Ausdruck der Unbehaglichkeit
dem Herrscher gegenueber.  Also verwandelt sich der Herrscher in
den Beamten.  Beamter zu sein ist Inbegriff der Gesetzlichkeit,
der Verfassungshoerigkeit, Constitutionality, denn waehrend rex
non potest peccare und das selbe musz auch vom Richter gesagt
sein.  ist der Beamte oft bei sehr hoher Strafe den Gesetzen
unterworfen.

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