19981026.00

                Psychologie oder Metapsychologie

     Die Geistesgeschichte, wenn ich sie recht begreife, weist
ein bestaendiges Ringen um die Darstellung des Nicht-objektiven,
des Nicht-gegenstaendlichen auf.  Dieses Ringen aber entspringt
und muendet in einen Widerspruch.  Der Widerspruch ist dasz alle
Darstellung die Darstellung eines Objektiven, eines
Gegenstaendlichen ist; und die Darstellung selbst verwandelt das
Nicht-gegenstaendliche in Gegenstand.  Tatsache aber ist, dasz
Die Darstellung des Nicht-gegenstaendlichen ist Taeuschung, denn
es ist unmoeglich das Nicht-gegenstaendliche darzustellen; und
die Anmaszung dieses zu tun verwandelt das Nicht-gegenstaendliche
bis zur Unkenntlichkeit.  Die behauptete Darstellung des Nicht-
gegenstaendlichen zerstoert es als solches (als Nicht-
gegenstaendliches).  Denn Darstellen heiszt zum Gegenstand
machen.

     Die Doppelnatur des Menschen als Einzelner und als
Gesellschaftsmitglied, als Gesellschaftsteil: die Wirkung
(Wirksamkeit, Bedeutung, Bedeutsamkeit) dessen was ein Mensch
sieht und hoert haengt davon ab, dasz dieses in gleicher Weise
von anderen Menschen wahrgenommen wird.  Hoeren, sehen und denken
tut er als einzelner.  Die Wirkung aber dessen, das er hoert und
sieht, geschieht im Rahmen (Context, Zusammenhang) der
Gesellschaft, des Zusammenseins und Zusammenwirkens mit anderen
Menschen.  Darin liegt des Erkannten Gegenstaendlichkeit, seine
Objektivitaet.  Man mag das, was undargestellt bleibt, weil es
nicht darstellbar ist, als das Subjektive bezeichnen, besser aber
als das Nicht-objektive, denn auszer der Negation, auszer der
Tatsache, dasz es nicht gesellschaftlich erkennbar ist, haftet
nichts Erkennbares an ihm.

     Wie sollen wir dann, wie koennen wir uns ueber das Nicht-
objektive verstaendigen?  Dies ist, jedenfalls bis zu einem
gewissen Grade, moeglich, weil die Erlebnisfaehigkeiten
verschiedener Menschen einander aehnlich sind.  Wie jedes
Menschen Hungern, Frieren, Trauern, Freuen nicht-objektive
Erlebnisse sind, weil ein jeder sie selbst fuer sich erlebt, und
keiner des anderen Erlebnisse empfinden kann.  Und doch, gerade
weil ich selbst kalt und hungrig und muede gewesen bin, kann ich
mir von den Gefuehlen des anderen eine Vorstellung machen.  Diese
meine Vorstellung heiszt (bedeutet) jedoch nicht dasz jene
Gefuehle welche ich mir vorstelle objektiv waeren.

     Anders ausgedrueckt: jede Vorstellung, jedes Gefuehl, jeder
Gedanke hat eine subjektive (nicht-objektive) Komponente
(Wurzel); Objektive Vorstellungen jedoch werden von (an, mit) den
Vorstellungen anderer Menschen gemessen und kontrolliert
(gesteuert, modifiziert), so dasz sich eine quasi gemeinsame
Vorstellung entwickelt, welche den Vorstellungen vieler Einzelner
Rechenschaft schuldig ist.  (accountable to the notions
(conceptualizations) of many individuals.)

     Die objektiven Vorstellungen von der Welt, von der
Vergangenheit, und in beschraenkterem Masze von der Zukunft,
haben den Vorteil, haben die entscheidende Folge, dasz sie die
gemeinsamen Taetigkeiten der Menschen ermoeglichen.  Ihre
Gueltigkeit entspricht der Wirksamkeit dieser gemeinsamen
Unternehmen.  Dasz sie zu der Annahme verleiten, eine
(transzendentale) Wirklichkeit darzustellen ist zwar
verstaendlich aber nichtsdestoweniger ein Irrtum.

     Die nicht-objektiven Eigenschaften (properties) des
(menschlichen) Erlebens finden indesz keinen Ausdruck.  Sie sind
unpraktisch.  Die objektive Betrachtungsweise hat keine
Verwendung fuer sie; denn sie ermangeln der Disziplin der
gemeinschaftlichen Kontrolle.

     Nicht-objektive Erlebnisweisen finden vornehmlich in der
Kunst und in der Religion ihren Ausdruck.  Auf beiden Gebieten
entsteht eine Vergesellschaftung zweiten Ranges (of a second
order).  Wo das religioese Erleben urspruenglich ein einzelnes
war, such es verstaendnismaesziger Weise ein gemeinsames zu
werden und sich in einem Gesellschaftsrahmen zu bewahren und zu
legitimitieren.  Zuweilen scheint dieser gesellschaftliche Rahmen
dem urspruenglichen Erleben des Einzelnen zu widersprechen oder
es zu widerlegen, zuweilen aber auch es zu bestaerken.
Jedenfalls waere die Spannung welche fast regelmaeszig in der
Religionspraxis auftritt, somit erklaert.

     Die raeumliche Darstellung unsichtbarer Verhaeltnisse.  Es
ist kein Zufall, dasz man das Nicht-objektive als das Innerliche
oder das Inwendige bezeichnet, denn bis zur Neuzeit war die
Bloszlegung (exposure) des Herzens oder des Gehirns mit dem
Fortleben des Menschen unvereinbar. Darum meinte man die Seele
des Menschen in seinem Inneren zu suchen.

     Vergleichbar die Beherbergung Gottes im Himmel: denn die
himmlichen Gefilde waren bis vor kurzem dem Menschen
unerreichbar.  Das objektive Dasein welches man Gott zumasz,
fristete er dort, wo er ihn der Mensch nicht zu erreichen
vermochte.

     Daher die Bedraengnis, welche fromme Menschen bei der
Betrachtung empfinden, dasz die chirurgischen Eingriffe in die
Brust und in den Schaedel die Seele unvermeidlich von dort
verscheucht haben, und dasz die Luft und Raumschifffahrt die
Beheimatung Gottes im Himmelreich in aehnlicher Weise vereitelt
haben.  Diese Verwandlungen unserer Lebenswelt moegen dazu
beigetragen haben, dasz unsere Aufmerksamkeit (awareness) in so
eindeutiger Weise auf die Unzulaenglichkeit der objektiven
Weltvorstellung gelenkt ist.

     Die Spuren der Nicht-objektivitaet in der aelteren Literatur
nachzuweisen, ist nicht schwierig.  Die Bibel im Alten sowohl als
auch in Neuen Testament ist reichlich damit versehen.  In der
Moderne jedoch, ist die Zucht der Wissenschaft zunehmend
strenger, und ausgerechnet die Wissenschaft ist es welche fuer
das Nicht objektive kein Organ hat, und welche die
Vergegenstaendlichung all unsers Wissens zu erzwingen sucht.

     Man sollte in dieser Hinsicht die moderne Philosophie von
Descartes ueber Leibniz, Hume, Kant, Schopenhauer, aufs neue
durchdenken.  Bezeichnend bei Hume ist die vorseatzliche Leugnung
alles Nicht-objektiven.  Das Objektive das uebrig bleibt wird
herabgewuerdigt zu Common Sense, sense which is common to the
comnmunity.  Aber von der Seele die einzeln und oeffentlich
unkenntlich ist, meint man, dasz sie nicht existiere.

     Ich deute Kants verwickelte Gruebeleien darauf hin, dasz sie
Versuche sind, dem Nichtobjektiven eine objektive Gestalt zu
verleihen, und es unter das Objektive einzubuergern.

     Die Ergebnisse der theologischen Dogmatik, andererseits,
konstituieren, bilden eine Gegenstaendlichkeit zweiten Ranges,
welche erkuenstelt (fictitious) ist insofern sie nicht auf
wiederholbarer Erfahrung sondern auf Gruebeleien und
veraeuszerten Gefuehlen basiert ist.  Die zweitrangige
Pseudogegenstaendlichkeit der theologischen Dogmatik ist nur im
Ausmasz, nicht aber in der Art unterschieden von einer aehnlichen
Pseudogegenstaendlichkeit der Geschichte.  Denn diese ist unseren
empirischen Forschungen auch nicht zugaenglich.

     Die fortwaehrende Wiederholbarkeit des Erlebens, the
continuing reproduceability of experience, is the criterion by
which objective and non-objective experience is distinguished.
Non-objective experience is either altogether non-communicable at
all, or it is historical, in the past, remote and inaccessible to
experience and accessible only to faith.

     Thus there is a continuing degredation of objective to non-
objective experience. Objectivity requires continually to be
refreshed, else it decays into non-objectivity. The methods,
mechanisms, or techniques by which objectivity is refreshed are
incorporated into and are implicit in the "scientific method."
They deserve, however, to me made explicit; and it would be of
substantial benefit to have them understood.

     Only superficial consideration of the facts of psychology,
of the circumstances of cognition, will suffice to convince that
all objective cognition is a superstructure superimposed on the
foundation of non-objective apperception and ratiocination.
Stated differently non-objective processes of cognition can be,
and are, disciplined to become objective. There are, however,
limitations of the degree and thoroughness and completeness with
which non-objective cognition can be thus disciplined.

     Notwithstanding the circumstance that we are forever
prepared to idealize objective cognition as providing us with a
consistent and irrefutable conceptual image of reality, objective
cognition is in fact fallible and fragile; and its validity
derives not from the adequacy of its fancied correspondence to
reality, but from the effectiveness of the communication it
enables, and the mental, intellectual, technical cooperation
which that communication alone makes possible.

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