19990504.00
Wenn man die Forderungen der Ethik unvoreingenommen,
nuechtern und sachlich bedenkt, dann ist die erste Betrachtung,
dasz urspruenglich die Ethik das Gebot des Herrn, das Gebot
Gottes, der Befehl des Maechtigen war.
Gott als Herrscher heiszt Gott als Person. Und wo wuerde
man eine Vorstellung der Person schoepfen, wenn nicht vom eigenen
Ich. wenn nicht als Erweiterung, als Projektion des eigenen Ich.
Mein Erlebnis meiner Selbst ist das Vorbild, ist die Vorlage
meiner Gottesvorstellung. (Oder ist das Umgekehrte der Fall, ist
die Vorstellung des Ich ein Spiegelbild der Personen und
Persoenlichkeiten welche mir im Laufe meines Lebens begegnet
sind, solche mich beeindruckt, welche mich verwandelt
(umgestaltet, transformiert) haben. Dann waere Gott eine
Fortsetzung, eine Projektion meiner Persoenlichkeitsvorstellung
ins Allmaechtige, ins Unendliche, ins Grenzenlose, ins
Unbegrenzte.
Der Ausdruck Person stammt bekanntlich von der
Schauspielermaske als der sichtbaren Erscheinung durch welche die
Stimme als Ausdruck des Inneren hindurch (per) toent (sona).
Demgemaesz unterscheide ich zwischen dem Bewusztsein als der
begrifflichen Bestimmung der Subjektivitaet, und der Person als
der objektiven Erscheinung des (bewuszten) Menschen. Gott is die
absolute allmaechtige unendliche unbegrenzte Person.
Aus dem Widerspruch von Person und Bewusztsein ergibt sich
eine theologische Dialektik. Erkennt man Gott als Person, so ist
er entfernt (remote), mittelbar; wie alle Personen mittelbare
Masken sind. Nach und nach wird man sich des erkuenstelten
Wesens der Personenvorstellung bewuszt. Vielleicht faellt die
Unzuverlaessigkeit und Ohnmacht der Personenvorstellung ins
Besondere bei der Vorstellung der goettlichen Person auf;
jedenfalls aendert sich die Betonung. Wenn man so zu sagen Gott
vor der Unwesenheit der Person retten will, dann kan man nicht
anders als Gott als Geist, als pneuma, als Seele zu erkennen, -
als Bewusztsein also. Gott wird nunmehr ein Teil, eigentlich der
wesentlichste Teil des Selbstbewusztseins erkannt, dieses
begruendend und erhaltend. Es ist unvermeidlich dasz demgemaesz
die Person Gottes in den Hintergrund geschoben wird.
Man kann die Erscheinung Christi in Menschengestallt als
Zeugnis fuer die Unzulaegnlichkeit der Vorstellung von Gott dem
Vater deuten: mit der Inkarnation, mit dem Menschwerden Christi
ist die Personifizierung Gottes auf eine neue Stufe geraten; eine
Stufe auf welcher sie sich selber aufhebt. Der gekreuzigte
Christus ist menschlich in einem ueberwaeltigenden Masze.
Christus am Kreuz hat das Goettliche abgelegt. Er ist ganz
Mensch geworden. Indessen musz die Gottesnatur, wenn sie
gerettet werden soll, in das Bewusztsein des einzelnen Menschen
verlegt werden.
Die biblischen Texte zeigen, wie stark sich das
Gottesbewusztsein im Laufe der Jahrtausende verwandelt hat. Die
urspruenglichen Verbote im Paradies waren was Gott anlangt,
selbstdienend, waren darauf abgestimmt Gottes Stellung den
Menschen gegenueber zu sichern, waren in Bezug auf Gott, selbst
erhaltend. Insofern diese Gebote vorbildlich waeren To the
extent that these commands are taken as exemplary, as God
protects himself, so does man, and self protection, self
preservation is represented as an ethical imperative. Und dieser
Selbsterhaltungstrieb welcher am Anfang (der Bibel) so
dramatischen Ausdruck bekommt ist biologisch durchaus
gerechtfertigt und selbstverstaendlich; ist aber gesellschaftlich
ungenuegend. Denn es ist dem Menschen nicht gegeben als Gott
ueber andere Menschen zu herrschen. Das Leben in der
Gesellschaft fordert ein positives, konstruktives Verhaeltnis zu
anderen Menschen. Dies ist der zweite Teil der Ethik, welcher in
den Zehn Geboten zum Ausdruck kommt.
Die ersten drei der Zehn Gebote wiederholen, erweitern und
vertiefen die Paradiesesgebote indem sie die Integritaet Gottes
bekraeftigen, und dies in hochverfeinerter Weise; die uebrigen
sieben Gebote sind darauf abgestimmt die Beziehung des Menschen
zu seinen Mitmenschen zu regeln, indem sie die Integritaet des
Fremden sichern. Als setzten sie Zaeune welche das materielle,
emotionale und seelische Eigentum der Menschen von einander
trennt, welche jedem sichert was ihm rechtens gebuehrt.
Das Neue Testament bringt die Unzulaenglichkeit dieser Ethik
zum Ausdruck. Der Mensch ist nicht nur Individuum; er ist auch
Gesellschaft. Der Mensch lebt nicht getrennt von seinen
Mitmenschen. Sein jedes Tun hat Einflusz auf sie (affects them),
zieht sie in Mitleidenschaft. Sein Dasein an sich ist ihnen
gegenueber ein Unrecht. Darum kann das Verhaeltnis kein
gleichgueltiges sein. Die Gerechtigkeit des Gesetzes musz
gleichgeltend, musz gleichgueltig sein. Die Gleichgueltigkeit
des Gesetzes ist ungenuegend. Der Mensch bedarf, die
Gesellschaft bedarf, der Agape, der Liebe.
Das Urverbot im Paradies war besondernd, war spezifisch: "Du
sollst nicht von diesem Baume essen." Dies Verbot ist nur unter
den Besonderheiten der damaligen Lage im Paradies bedeutsam. Die
Zehn Gebote sind vermutlich, ihrem Inhalt (Sinn) entsprechend,
unter allen Umstaenden, zu allen Zeiten, in allen Lebenslagen
gueltig. Eine universelle Gueltigkeit welche ausgerechnet
(gerade) ihre Anwendung in bestimmten Umstaenden schwierig,
raetselhaft, fragwuerdig macht.
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