19990511.00
Die Begriffe des Ich, des Selbst, der Seele, der
Innerlichkeit, des Bewusztseins, der Subjektivitaet, es sind
alles Abstraktionen welche in der geistigen Entwicklung des
Einzelnen erst spaet, zuweilen sehr spaet, und manchmal garnicht
in Erscheinung treten. Mit welcher Berechtigung sollten sie als
arche, als Ausgangspunkt, als Ursprung philosophischer
Betrachtungen stichhaltig sein?
Beansprucht man hingegen ein Begriffsgebaeude welche der
Entwicklung des einzelnen Menschgeistes getreu, welche genetisch
korrekt ist, so stellt man mit diesem Anspruch eine unerfuellbare
Aufgabe. Denn man hat fuer den genetischen Urpsrung unserer
Gedanken und Gefuehle keinerlei Belege, da diese Gedanken und
Gefuehle in ihrem Ursprung unausgesprochen, unausgedrueckt sind,
im reifen Geistesalter laengst vergessen und von anderen
Eindruecken ueberschichtet. Um einen solchen Ursprung
festzustellen, mueszte man sich erdreisten, Schluszfolgerungen
aus den abreissenen Lauten und Bewegungen des Kleinkindes zu
ziehen; Schluszfolgerungen welche nichts als ein chaotisches
Spiegelbild der Kindeswelt in ihren grobsten Zuegen ergeben
wuerden, und ganz sicherlich weit mehr ueber die
Geistesverfassung des schluszfolgernden Beobachters als ueber den
Gegenstand seiner Beobachtung ergeben wuerde.
Das Unternehmen ein Bild der geistigen Verfassung des
Menschen auf genetischem Wege zusammenzustellen ist praktisch
unmoeglich und fuehrt nirgends hin. Es ist nicht in seinem
Ursprung, sondern von der Wartre hoechster geistiger Entwicklung
dasz die Menschen ihre Bemuehungen auf ein Ich, auf ein Selbst,
auf Subjektivitaet, auf Seele beziehen, dasz sie zu der Forderung
gelangen: Erkenne dich selbst, oder zu der Einsicht, ich denke,
also bin ich.
Wenngleich der Aufsichselbstverlasz des Denkenden, die
Begruendung des Erlebens im eigenen Ich genetisch nicht zu
rechtfertigen ist, so scheint ein solches Vorgehen funtionell
erklaerlich, wennicht sogar unvermeidbar. Denn wenn in ihrem
biologischen Ursprunge, also in der fruehen Kindheit die
Bezugnahme auf das Ich unauffindbar und unerweisbar ist, so
geschieht bei sich eintwickelndem Denken gerade (ausgerechnet,
genau) das Gegenteil, indem sich das Bewusztsein immer staerker
auf sich selbst verlaeszt, (in that consciousness come
progressively (more and more) to rely upon itself, and must
constantly guard against lapsing into solipsistic denial of the
reality of the "outside" world.) und bestaendig gegen eine
solpsistische Verleugnung der Wirklichkeit auf der Hut sein musz.
Dementsprechend hat eine egozentrische Ethik, das heiszt,
eine Ethik welche im Bewusztsein der eigenen Handlung begruendet
ist, heuristisch grosze Bedeutung; und ist meines Erachtens die
einzige Methode ein fuer mich gueltiges und zusammenhaenges
Schema der Wertsetzungen zu erreichen. Die Begrenzung, die
Reservation, der Einwand gegen eine solche Ethik ist nicht, dasz
sie einer vermeintlichen unabhaengig bestehenden Wirklichkeit
widerspraeche, denn eine solche ist dem Einzelnen, eben weil sie
von ihm unabhaengig ist, unerreichbar. Der Einwand gegen eine
egozentrische Ethik ist, dasz sie nur auf ihren Verfasser
gemuenzt ist, weil das Erleben verschiedener Menschen von
einander verschieden ist. Diesem Einwand musz Recht gesprochen
werden, jedoch mit der Bemerkung, dasz dergelichen
Miszverstaendnisse zum Wesen der Sprache im Besonderen und zum
Wesen der Mitteilung (Kommunikation) im allgemeinen gehoeren;
dasz der welcher seinem (inneren) Erleben Audruck zu geben
vermag, von seinen Mitmenschen immer nur in beschraenktem Masze
verstanden wird, - eben darum, weil das Erleben dem er Ausdruck
gibt unvermeidlich, unumgehbar, inevitably, unavoidably, sein
eigenes ist und deshalb mit dem Erleben anderer nicht
uebereinstimmen kann. Wenn Mitteilung dennoch moeglich ist, so
ist dies der Fall, der Homoiosis wegen, weil das Gemuet die
Eigenart besitzt, - und der Notwendigkeit unterliegt, alles was
es vernimmt in sich aufzunehmen, und sich dem Aufgenommenen
gemaesz entsprechend zu verwandeln, sich ihm anzugleichen, um es
am Ende einzuverleiben und zu verstehen.
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