19990512.03
Tagebuch
Zu anfang musz ich bekannen, dasz ich mich in
Unschluessigkeit befinde, ueber den genauen Titel mit welchem ich
die Aufsaetze ueberschreiben soll.
Ich waehle den Ausdruck Tagebuch weil was ich hier vorlege,
Eingaben sind die sich mir von Tag zu Tag dargeboten haben. Das
Band welches die Eintragungen in ein Tagebuch verbindet sind die
Erlebnisse des Verfassers, die er von Tag zu Tag, vielleicht auch
von Stunde zu Stunde erfaehrt, unterschieden in diesem Sinne von
der These, von der Monographie, von dem Lehrbuch, das dem Leser
ein zusammenhaengendes Gedankensystem verspricht.
Wie gerne haette auch ich ein solches dargebracht. Tatsache
aber ist, dasz mir zu einer systematischen Darstellung die
Geisteskraefte mangeln, oder vielleicht, dasz ich zu traege bin,
die Kraft fuer eine systematische Darstellung aufzubieten. (to
summon up) Meine Tage verlaufen in Ablenkung und abgerissener
Vergeszlichkeit. Ich sitze am Computer auf der Veranda, bei
offenem Fenster. Irgendwo ruft ein Vogel, das Telephon klingelt,
oder auch ein Schmerz faehrt mir ins rechte oder linke Bein und
ich stehe auf meine Gelenke zu strecken und zu entlasten, und die
Gedankenfolge, welche ich noch eben im Sinn hatte, faelt dahin.
Ich blicke auf den Bildschirm um mich zu erinnern, um zu
versuchen mir ins Gedaechtnis zurueckzurufen, was es denn war,
das meinem Denken vorschwebte als ich unterbrach. Und dann
stellt sich ein neuer Gedanke ein; dasz es der alte nicht sein
kann, ist selbstverstaendlich; aber wie er sich zu diesem
verhaelt, ist unklar, ist mir auch nicht klar. Wenn ich hernach
das Geschriebene lese, dann erscheint es mir, je nach meinem
Blickpunkt, zusammenhaengend und auch nicht zusammenhaengend,
disparat; aber ich habe ja laengst verstanden, dasz alles
Geschriebene vom Leser in ein Zusammenhaengendes gefuegt werden
kann, und musz, und tatsaechlich zusammengefuegt wird; Die
Mitteilung also, sollte eine solche sich aus diesen Eintragungen
ergeben ist abhaengig nicht einzig von der Beschaffenheit des
Textes, und vielleicht hiervon weniger als man anzunehmen gewohnt
ist, mehr aber vom Interesse und von der Empfanglichkeit des
hypothetischen Lesers.
Wenn also das hier Dargebotene einen Zusammenhang aufweist,
so ist dieser Zusammenhang nicht ein gekuenstelter und gewollter,
es ist der Zusammenhang des Erlebens und des Erlebten, welcher
tiefer und wahrer ist als der kuenstlich erfundene. Ich moechte
so weit gehen als zu behaupten, Es ist auch moeglich,, wenn nicht
gar wahrscheinlich, dasz der gewollte, beabsichtigte Zusammenhang
die Entwicklung eine natuerlichen verhindert, oder insofern ein
solcher natuerlicher Zusammenhang schon bestaende, ihn
unekenntlich macht und zerstoert.
Es versteht sich von selbst, dasz die hier gebotenen
Aufzeihnungen nicht an einem einzigen Tage entstanden, sondern im
Laufe von Monaten, wenn icht gar Jahren. Es waere fuer mich, und
moeglicherweise auch fuer einen interessierten Leser, falls es
einen solchen geben sollte, von Interesse, zu erfahren an welchen
Daten die verschiedenen Eintragungen gemacht wurden. Solche
Informationen waeren aber verlaeszlich, nur wenn die
verschiedenen Aufsaetze tag- und jahrgetreu abgedrueckt wuerden,
wuerde aber zu unerlaubter (impermissible) Taeuschungen
verleiten, wenn die Eintragungen wesentlich veraendert,
aufgeteilt, umgestellt, zusammengefuegt, revidiert werden, wie im
Falle dieser Veroeffentlichungen. Ich habe deshalb die
Eintrageungen nicht mit daten versehen, sondern lediglich
numeriert, und habe sie, wo dies moeglich war, so abgeaendert,
revidiert, erwietert, aufgeteilyt oder zusammengefuegt, wie ich
meine dem moeglichen zukuenftigen Leser zugaenglicher zu machen.
Wenn ich sie dennoch als Tagebuch bezeichne, so soll dies ein
Ausdruck sein fuer die tatsaechliche Gebundenheit ans taegliche
Erleben aus welcher sie hervorgegangen sind, und welche sie
fortfahren muessen darzustellen, um so etwas aehnliches wie ihren
urspruenglichen Sinn zu wahren.
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