19990515.00 Zwei Themen beschaeftigen mich heute morgen: 1) Die Gewissenhaftigkeit des Tagebuchs des Verfuehrers, und 2) Wissensinhalt als Wissen wie. The provocativeness, das reizend Herausfordernde von Mozarts Don Giovanni hat mich von jeher in Staunen versetzt, und in groeszeres Staunen noch der Reiz, die Anziehungskraft, welche dieses Werk fuer einen Menschen wie Kierkegaard hat, denn diese Anziehungskraft, was immer sonst das Werk auch sein mag, besagt etwas ueber das Werk, und/oder besagt auch etwas ueber den Mann den es anzieht, etwas das sonst ungeahnt bleiben moechte. Ich habe es mir immer so ausgelegt, dasz im fruehen 19. Jahrhundert, im Jahrhundert also der Pruederie und Verschweigung, bezw. Verleugnung des Geschlechtlichen, diese grosze Kunst das einzig erlaubte Verstaendigungsmittel ueber das verbotene Erleben darstellte, und eine vergleichbare psychosexuelle Rolle spielte wie z.B. die kuenstlerischen Darstellungen eines Ingres vom unbekleideten menschlichen Koerper. Nebenbei sei bemerkt, dasz in allen den groszen mozartschen Opern die mir einfallen, Idomeneo (vielleicht) ausgenommen, das Geschlechtliche eine auszerordentliche Rolle spielt, nicht nur im Don Giovanni: besonders in der Zauberfloete, in der Entfuehrung, im Figaro, und im Cosi fan tutte, wobei ich darauf aufmerksam machen moechte, dasz ich mich im Falles von Cosi fan tutte irren mag, da dessen Inhalt mir nicht gelaeufig ist. Jedenfalls spielt Don Giovanni eine Rolle die jedem Manne von echtem Schrot und Korn, als ersehnt und erwuenscht vorschweben musz, ein Betragen das ihm von der Kirche untersagt ist, und das von der Gesellschaft aufs entsetzlichste bestraft wird, ein Rolle die er nun vom Don stellvertretend (by proxy) auf der Buehne vorgefuehrt bewundern darf. Dabei steht Mozarts von Kierkegaard so ekstatisch gelobte Musik, fuer meine Ohren jedenfalls, zu dem erotischen Thema der Oper in weit lockerer Beziehung als Kierkegaard es behauptet. Die schicksalsvollen Intonationen des Commandatore stellen eine Veraeuszerlichung des Gewissensrufes von welchem jeder Schuldige, woran auch immer, befallen werden moechte. Interessant ist zu bemerken, dasz diese Gewissensrufe veraeuszerlicht wurden in dem Masze in dem sie beim Don innerlich nicht vorhanden schienen. Zu bemerken auch ist, dasz Gewissensrufe das allerletzt von Kierkegaard benoetigte waren. Die Vertonung des Zorns der Donna Anna, die musikalische Darstellung von Donna Elviras Liebe, so wie auch Zerlinas kaetzchenhafte Treulosigkeiten und Schmeicheleien sind saemtlich unendlich melodisch; doch ihre Melodien lieszen sich als Ausdruecke allgemein weiblicher Gefuehle ungezwungen auf gaenzlich andere Erlebnisbereiche als die geschilderten uebertragen, nicht unaehnlich der Fazilitaet mit welcher dieselben Choere und Arien bachscher Kantaten heute das Weltliche und morgen das Heilige zu feiern angemessen sind. Don Giovanni, so erscheint es mir, ist die Verkoerperung vollkommener Luesternheit und Gewissenlosigkeit. Was die Luesternheit anlangt, so ist Luesternheit im allgemeinen im kierkegaardschen Schrifttum durch die unheimlichste Sublimierung unkenntlich gemacht. Kierkegaards Doppelgaenger waere nicht Don Giovanni sondern Hamlet, fuer welchen: .... the native hue of resolution is sicklied o'er by the pale cast of thought. Waehrend Don Giovanni stets jedem geschlechtlichen Reiz so offen stand, dasz Leporello ihm schon 1003 Liebesabenteuer nachsagen konnte, bekennt der doppelt pseudonyme Verfasser des Forfoererens Dagbog eine so tiefe Faszination mit dem Seelenleben seiner Cordelia, dasz er fuer NB, fuer neue Beute, keine Zeit, keine Aufmerksamkeit zu eruebrigen hat. Mir scheint dementsprechend, dasz der Verfuehrer des Tagebuchs keineswegs Don Giovannis Doppelgaenger, sondern Don Giovannis polarer Gegensatz ist, indem dieser total ruchlos, reuelos und gewissenslos ein Maedchen nach dem anderen verfuehrte, (wenngleich auch nicht immer, wie Zerlinas Schicksal zu beweisen scheint, zugrunde richtete.) und mit seinem Vorgehen den Zorn des Himmels erntete und am Ende stoehnend und schreiend von Kirchenteufeln in den Hoellenrachen geschleppt wurde. Indessen musz es nun einmal gesagt sein, dasz die Liebe welche Kierkegaards Verfuehrer an den Tag legte alles andere als erotisch war; oder wenn das erotische Liebe gennant wird, dann musz anerkannt sein, dasz aus Eros ein Chorknabe geworden ist und aus Venus eine Mater dolorosa. Denn bisher bedeuete erotische Liebe der psychische Ausdruck des naturgegebenen Triebes zur reproduktiven Vereinigung der Leiber. Leporellos Arie besagt nicht, dasz sein Herr unter den Fenstern von 1003 Frauen mit Lautenbegleitung Liebeslieder (Serenaden) hat erklingen lassen, oder dasz er fuer 1003 Frauen Liebesgedichte komponiert hat, oder ihnen Hallmark Karten zum Valentins Tag in den Postkasten gesteckt. Leporellos Arie besagt dasz Don Giovanni sein maennliches Glied tausend und drei Frauen in die Scheiden gebohrt hat: Leporello boasted on Don Giovannis behalf that his master's diary recorded the enjoyment of what lawyers would tastefully denominate as the penetrations of 1003 women. Das war sein Genusz, dasz war sein Suende, das war sein Triumph, und dafuer bewundern wir ihn, und darum muszte er zur Hoelle fahren. Wahrhaftig war die Liebe des Tagebuchverfuehrers fuer seine Cordelia eine ganz andere und keine erotische. Was war sie aber sonst? Wie wird sie im Tagebuch beschrieben? Wie erscheint sie im Tagebuch? Das Tagebuch betont zweierlei, erstens, dasz der Verfuehrer seine Freude, seinen Genusz, daran hatte, dasz Cordelia nun sein war, dasz sie ihm gehoerte, und dies in dem Sinne nicht dasz sie seinen Befehlen untertan war, denn das war sie nicht, sondern dasz all ihr Denken, all ihr Trachten, all ihr Wuenschen, all ihr Hoffen, ihr ganzes seelisches Leben sich nunmehr nur auf ihn bezog, dasz sie sozusagen ihr Leben in ihm hatte. Zweitens aber erfuhr der Verfuehrer seine Befriedigung an jeder Gebaerde, an jedem Lebensausdruck der geliebten Cordelia, welche, da sie ihm nun ganz gehoerte, als eine Bestaetigung und Erweiterung seines des Verfuehrers eigenen Geistes erkannt werden. Nun gilt es zu Fragen, was war denn eigentlich die Leidenschaft, what was the nature of the affection, welche seinerseits den Tagebuchverfuehrer mit Cordelia verband. Eros war es offenbar nicht, den eros hat die koerperliche Vereinigung der Liebenden zum Ziel; das Tagebuch erklaert ausdruecklich, dies sei nicht die Absicht des Verfuehrers gewesen. Und philia war es auch nicht, denn philia besagt Gleichheit; gegenseitige Mitteilung und Beistand unter Umstaenden der Gleichheit, und was immer die Beziehung des Verfuehrers zu seiner Cordelia war, gleichheitig war sie nicht. Die Leidenschaft des Verfuehrers war weder eros noch philia. Auf die Gefahr hin dasz man mich von der Liste entfernt, schlage ich vor: die Leidenschaft des Verfuehrers fuer Cordelia war agape, wie das alte und neue Testament der juedischen Religion dieses Wort fuer die Liebe Gottes reserviert, und fuer jede gottaehnliche Liebe sich vorbehaelt. Die bezeichnendste Eigenschaft des alt testamentlichen Gottes war sein Eifer, war dasz des Menschenkind das er beab- und beaufsichtigte ihn liebte, und nur ihn liebte und in ihm lebte und nur in ihm lebte, und dasz der geliebte Mensch in seinem Leben voellig vom Gotte abhaengig war. Und dasz er, der Gott, an dieses Menschenkindes jeder Bewegung, jedes Gedankens, jedes Wortes, jedes Geistesausdrucks teilhaftig war, so wie der Verfuehrer an jedem Geistes und Gefuehlsausdruck seiner Cordelia. Ach, ich bin ganz sicher, es war keineswegs Kierkegaards Absicht seinen doppelt anonymen Verfuehrer als gottaehnlich auftreten zu lassen. Ich beabsichtigte auch nichts mehr als darauf hinzuweisen, dasz des Verfuehrers Liebe zu Cordelia viele der Eigenschaften aufweist welche in den beiden Testamenten der Liebe Gottes, der goettlichen Liebe, der agape gehoerig sind. Die Gueltigkeit dieser Analyse mag bestaerkt werden durch die Beobachtung (observation) dasz waehrend in seinem Verhaeltnis zur Frau der Tagebuchverfuehrer dem juedisch-christlichen Gotte gleicht, Don Giovanni hingegen die Rolle des griechischen Obergottes, des Zeus, abspielt, welche bekanntlich mit nicht geringerer Luesternheit als Don Giovanni die wuenschenswertesten Maedchen des Erdreichs befruchtete, um hernach, sein Luesten voruebergehend gestillt, triumphierend zurueck in den Himmel zu fahren, ganz im Gegensatz zu Don Giovanni, welchen die christliche Priesterschaft zur Hoellenfahrt verdammte. Wenn aber, wie bewiesen, die Lust des Tagebuchverfuehrers eine ganz andere als die des Don Giovanni war, so fand die verschmaehte Liebe Cordelias einen Ausdruck durchaus vergleichbar mit dem in welchem die verschmaehte Elvira ihr Leid, ihre Wut, ihren Hasz bekundete. Fast moechte man fragen ob nicht Donna Elvira als Vorbild fuer Cordelia gedient haben moechte. Ich halte es aber fuer wahrscheinlich, dasz das Bild Cordelias durchaus nicht naturgetreu ist, insoweit es von dem selben Maennergeiste entworfen wurde wie die Bilder der Donna Anna und Donna Elvira. Die Feministen unserer Tage wuerden jedenfalls behaupten dasz nicht alle Frauen sich in dieser Beziehung aehneln, dasz nicht alle Frauen dasselbe Verlangen hegen, vom Manne befruchtet, gehegt und geliebt zu werden. Jedenfalls hat Kierkegaard diese angeblich einheitliche weibliche Leidenschaft oft genug als prototypisch fuer Leidenschaft ueberhaupt, und ins Besondere fuer die religioese Leidenschaft angefuehrt. Ich vermute dasz seine Beschreibungen der weiblichen Seele wahrscheinlich entstellt und uebermaeszig vereinfacht sind, aber ich musz es einem mehr weiblichen Geist als der meine es ist ueberlassen diesen Mangel zu korrigieren, und uns ausfuehrlicher der Breite des weiblichen Seelenspektrums zu belehren. Zum Schlusz eine abschlieszende Betrachtung ueber das Schicksal der beiden Protagonisten. Bekanntlich bueszt Don Giovanni seine Luesternheit im Hoellenfeuer. Der Tagebuchverfuehrer aber hat keinen erotischen Genusz zu verbueszen. Seine Liebe war die agape, sein Opfer war Entsagung, und sein Lohn, wenn ich nicht irre, war die Antithese zum Schicksal Don Giovannis. Des Tagebuchverfuehrers Schicksal war jene Verinnerlichung, jene christliche Nachfolge, jene Versicherung der Ewigkeit, wovon Kierkegaards uebriges Schrifttum das Zeugnis ist. Es war die tiefe Ironie in Kierkegaards Geist, dasz er die erotische Liebe der goettlichen, christlichen unterschob. dasz er seinen Leser, -und seine Geliebte, auf die Probe stellte, die beiden so grundverschiedenen Arten der Liebe zu unterscheiden. * * * * *

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