19990516.01 Gestern abend ist mir in dem kleinen Zimmer an der nordwestlichen Ecke des Hauses, von Jeanne als "Den" bezeichnet, von mir, abschaetzig, als Televisionzimmer, weil dort das Fernsehgeraet steht, ein vier Jahre altes Exemplar des NY Review of Books in die Haende gekriegt mit einem Artikel ueber die linguistischen Untersuchungen des Noam Chomsky. Verbreitet wie nun einmal sein Ruhm ist, hatte ich von Chomskys Arbeit gehoert, hatte vielleicht auch einmal eins seiner Buecher aufgeschlagen. Sollte dies der Fall sein, habe ich es jetzt schon wieder vergessen. Wesentlich beeindruckt hatte es mich offensichtlich nicht, oder nur in negativem Sinne, dasz ich es nicht verstand, dasz es das eigene Denken nicht bereicherte, und dasz es mich demzufolge stoerte. Stoeren tat es mich, als ein Thema, die Beziehung der Sprache zum Gehirn, zum Geist und zum Verstaendnis, das mich von jeher stark interessierte, auf dem auch ich meinte, auf meine eigene Art, "Forschungen" anstellen zu sollen; so dasz ich vor der Arbeit Chomskys bangte. Insofern sie gueltig sein moechte, wuerde sie meinen eigenen Betsrebungen zuvorgekommen sein. War sie aber von nur beschraenkter oder vorlaeufiger Gueltigkeit, so fuehlte ich mich von dem Ruhm der sie umstrahlte eingeengt, insofern als dieser meine eigenen Bestrebungen in den Schatten setzen wuerde. Und deshalb schielte ich, indem die Jahre vergingen, auf Chomskys Arbeit hin, ohne mir die Muehe zu machen sie in ihren Einzelheiten kennen zu lernen. Die verjaehrte Rezension verschiedener Buecher ueber Linguistik die mir gestern abend in die Augen fiel, tat manches um die Befangenheit in welcher ich nmich betreffs der neuzeitlichen Linguistik befand, zu lockern, wenn nicht gar zu loesen. Es mag sein, dasz die Rezension welche ich las, der Arbeit der Linguisten nicht gerecht wurde, aber der Eindruck den sie bei mir hinterliesz war dasz es sich auch hier, in Fontanes treffenden Worten nur um "Viel Geschrei und wenig Wolle," ging. Denn obgleich er sich mit scharfem und bestaendigem (consistent) Angriff durchgestetz zu haben scheint, und in den Augen seiner Gefolgschaft seine Gegner, vornehmlich Piaget und Skinner ueberwunden hat, so scheint es mir doch als ob er sich in aehnlichem wissenschaftlichen "play-acting" gefaellt, dessen er Skinner bezichtigte, und dasz obgleich seine Theorieen und Behauptungen denen Skinners und Piagets diametralisch zu wiedersprechen scheinen, diese doch in ihrer Willkuer, ihrer naiven Mechnistik, in ihrer Seichtigkeit, Belanglosig und Konsequenzlosigkeit von denen seiner vermeintlich ueberwunden Gegner fast ununterscheidbar sind. Was mir besonders bei den Theorieen Chmoskys auffaelt, jedenfalls in dem sehr beschraenktem Masze in dem ich von ihnen weisz, ist dasz sie keine Erklaerung haben fuer die unleugbare Tatsache dasz die Sprache welche das Kind lernt, die Sprache ist welche das Kind hoert. Das wsenn von zwei identischen Zwillingen der eine von einer deutschen Pflegemutter, der andere von einer englischen erzogen wird, die Muttersprache des ersten Deutsch, und die Muttersprache des zweiten Englisch sein wird, und dasz die Unterschiedlichkeit der von den eingebildeten (hypothetical) vorgestellten identischen Zwillingen gelernten Muttersprachen nicht auf zwei verwandte Sprachen, wie Deutsch und Englisch beschraenkt ist,r sondern _alle_ Sprachen die der mensch zu lernen vermag, wie unterscvhiedlich sie auch immer sein moechten, umfassen, wie etwa Englisch und Chinesisch. Mein eigenes diesbezuegliches Urteil ist experimentell zwar unbewiesen, verlaeszt sich aber auf das dem Augenarzt so wohl bekannte Phaenomen der Amblyopie, welche zeigt, dasz die Sehfaehigkeit, welche vermutlich in der Mikrostruktur des Gehirns ihre anatomische Basis hat, zu ihrer Entwicklung der Einuebung bedarf, dasz das z.B. vom Katarakt abgedeckte Auge blind bleibt, weil ihm die Uebung im Sehen vorenthalten bleibt, ebenso wie der Taube der Sprache verlustig bleibt. Daraus schliesze ich, dasz die Gesichtskraft im einen Falle, das Sprachvermoegen im anderen, erst durch Einuebung hervorgerufen werden, asz es durchaus wahrscheinlich ist, dasz diese entwickelten Faehigkeiten ihre Spuren in der Struktur des Gehirns haben, wobei bemerkt werden musz, dasz es eine grobe Uebervereinfachung ist vorauszusetzten, oder auch nur anzunehmen, dasz die Funktionsfaehigkeit in der materiellen Struktur ihre ausreichende Erklaerung haben sollte. * * * * *

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