19990517.00 Ich habe gestern mein Studium des ersten Teils von Enten- Eller naemlich des Enten unterbrochen, um mit dem Eller, dem zweiten Teil einen Anfang zu machen; auf den ich mich nicht besinnen kann ihn je gelesen zu haben, obgleich dieser Ausfall der Erinnerung ganz wahrscheinlich der Tatsache entspricht, dasz mich der zweite Teil, naemlich die Erguesse des Gerichtsrats Wilhelm schon damals so aergerten, dasz ich das Buch nicht nur im Boert beiseite geschoben habe, sondern in meinem Gemuet, auch dessen Inhalt, der bei aller langwierigen, poloniusartigen Langweiligkeit die bezeichnendsten Eigenschaften der Ehe, wie mir scheint, doch nicht begreift oder jedenfalls sie darzustellen unterlaeszt, vielleicht nicht darstellen konnte, weil zugegeben Kierkegaards auszerordentliches Einfuehlungvermoegen, er sie doch nicht erlebt hat. Obgleich mir das Daenische immer weniger Schwierigkeiten macht, und ich es laengst nicht mehr fuer noetig erfahre, jeden daenischen Satz ins Deutsche zu uebertragen, um ihn sozusagen auswendig zu lernen, so nimmt das Lesen des Buches dennoch eine Zeit in Anspruch die so betraechtlich ist, dasz ich kaum damit rechnen kann es bei dieser Konnarock Visite zu Ende zu lesen. Tatsaechlich ist es ein sehr langes Buch, wie den auch das gesammte kierkegaardsche Schrifttum ein sehr ausgedehntes ist, so dasz es unmoeglich ist in ein paar Monaten damit zu Rande zu kommen. Das moechte Jahre in Anspruch nehmen, und mich duenkt, wenn man ihm gerecht werden wollte, ein grosz Teil des Lebens. Ob dies der Muehe wert waere, ist eine ganz andere Frage. Mithin ist es unvermeidlich, selbst bei ausgiebigster Geduld, dasz man sich zu Schluessen und Urteilen ueber das einzelne Buch, und selbstverstaendlich ueber das ganze Werk entschlieszt eh man es gelesen hat; wenn nur deshalb (for the reason, aus dem Grunde) dasz das Beurteilen und das Lesen je seinen eigenen Rhythmus hat, und dasz die Periode des Sichausdrueckens eine viel kuerzere ist als die des Auffassens und Verstehens. Ich meine jetzt zu erinnern, dasz jener zweite Teil des Enten-eller, jenes Eller, damals, jetzt in Vergessenheit untergetaucht, als ich es zum ersten Mal las, Enttaeuschung und Langeweile und Unmut ausloeste, in solchem Masze, dasz ich keine Zeit darauf verwenden wollte und meine Lektuere unterbrach. Inwiefern ich mich dieses Mal ueberwinden werde wird sich herausstellen. Dioeser zweite Teil von Enten Eller spiegelt, das musz ich gestehen, ein Masz der Verantwortungsbewusztseins und der Sorge um den jungen Freund an den er gerichtet ist, und diese Sorge besagt Leidenschaft, jedoch so gedaempft, dasz sie nicht selten als selbstzufriedene, blasierte Redseligkeit ertoent. Ich habe in einem frueheren Aufsatz gewagt, den Animus des Verfuehrers im ersten Teil des Buches neben die goettlichen Agape zu stellen. ein Vergleich der mir selbst zuweilen als laecherlich und absurd vorkommt, und dennoch kann ich mich nicht voellig von ihm losdenken. Ich finde diesen Vergleich sehr lehrreich: denn was die Leidenschaft des Verfuehrers kennzeichnet ist nichts so sehr wie Ironie und Humor, und gerade diese sind ja, unserer Vorstellung gemaesz dem Hoechsten Wesenr vorenthalten; wir kennen kein hoeheres Gebot, als Gott ernst zu nehmen. Einen Gott der lachte, konnte selbst Goethe sich nur im Praeteritum, in the past tense, in der Vergangenheit vorstellen. (Mein Pathos braechte dich gewisz zum Lachen, haettst du dir nicht das Lachen abgewoehnt.) Erklaerung fuer die Humorlosigkeit Gottes ist seine Herrlichkeit, seine Stellung als Herr, dessen Wort Befehl ist, und dessen Befehl unter allen Umstaenden ernst genommen werden musz und den Abstand, die relativitaet des Humors in keiner Weise zulaeszt. Nun scheint es mir aber, dasz alle drei Getsalten der Liebe, der Eros, die Philia und die Agape mit und ohne Humor vorstellbar sind; dasz die herkoemmliche Humorlosigkeit Gottes keineswegs die Abwesenheit des Humors von der Agape zur Notwendigkeit macht, und somit waere meine Mutmaszung ueber des Verfuehrers Leidenschaft als Agape zum mindesten haltbar. (verfechtbar, defensible). Der Unterschied von Agape und Eros, wie ich ihn deute, ist nicht in der Leidenschaftlichkeit, sondern in der Wahrung des Selbstseins bei der Agape im Vergleich zum Opfer des Selbstseins zu Gunsten der Vereinigung mit dem Gegenstand der Liebe. Liebend verbrennen, liebend sich mit dem Geliebten verschmelzen, das vermag nur erotische Liebe. Bei dieser Darstellung wird mir dann aber auch klar, dasz die Begriffsetzung ihre Grenzen hat; dasz die Audruecke letzten Endes jene Bedeutung haben, die man ihnen zumessen will, und dasz es, je nach der erforderten Prazision, eventuell einer Begriffssetzung de novo bedarf. Jedenfalls scheinen diese Ueberlegungen meine Beobachtung, dasz des Verfuehrers Leidenschaft keine erotische sondern eine agapische ist, zu bestaetigen. * * * * *

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