19990703.00 Mit der christlichen Liebeslehre hapert es. Irgendetwas daran stimmt nicht. Um es kurz und buendig auszudruecken: Die Feindseligkeit ist ein Teil des Menschendaseins wie der Schmerz es ist. Die Feindseligkeit gehoert zum Zusammenleben, gehoert zur Gemeinschaft der Menschen, wie der Schmerz zu seiner Koerperlichenkeit. Und wie das Leugnen des Schmerzes ein folgenreicher Irrtum, so auch das Leugnen der Feindseligkeit, der Fremdheit, der Getrenntheit der Menschen. Die Feindseligkeit ist ein primitiver Ausdruck der Individualitaet. So ist die Aussicht auf eine feindlose, von christlicher Naechstenliebe durchwirkte Gesellschaft eine Taeuschung, durchaus vergleichbar mit der Vorstellung von einem nicht-endenden (d.h. ewigen), schmerzlosen Leben. Die Forderung: Liebet eure Feinde ist in entgueltigem Sinne undurchfuehrbar und widerspruechlich. Denn der Feind bedarf der Feindschaft, und weil er ihrer bedarf, ist er bestaendig bestrebt sie zu erhalten, und wo sie zu erschlaffen droht, sinnt er die Feindschaft aufs neue zu schaffen. Vielleicht tut man dem Feinde ein Unrecht, wenn man darauf besteht ihn zu lieben. Ich betrachte ein nimmer ruhendes Hin und Her, Vereinigung und Trennung, Vergesellschaftung und Entzweiung. Zusammensein und Einsamkeit, Liebe und Hasz. Wir fuerchten uns vor der Feindschaft aus Angst vor ihrer groszen Verderblichkeit. Wir fuerchten uns vor der Feindschaft aus Feigheit. Tatsaechlich ist das christliche Gebot seine Feinde zu lieben ein Gebot sich selbst aufzuopfern. Es bleibt dahingestellt, jedenfalls ist es mir unklar, inwiefern es geboten ist, den Feind der Feindschaft die ihm so notwendig ist, zu berauben. Der Mensch bedarf der Feindschaft um sich seines Selbst zu versichern, wie er zu diesem Zwecke des Schmerzes bedarf. Feindschaft ist Getrenntsein, ist Sichselbstsein, ist Individualitaet, ist zuletzt, Innerlichkeit. Mein Patient Jeremy Murray-Brown behauptet, dasz es moeglich ist einen Menschen zu lieben ohne ihn zu moegen. (that it is possible to love a person, whom one does not like.) Diese Behauptung scheint mir sehr fragwuerdig. Nicht dasz man einen Menschen liebt weil man ihn mag, sondern umgekehrt: man mag ihn, weil man ihn liebt. Und warum liebt man ihn? Um der Einsamkeit zu entgehen. * * * * *

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