19990724.00 Die Beschraenkung des Erotischen auf den Geschlechtstrieb ist gewisz ein verhaengnisvolles Miszverstaendnis unserer geistigen Ueberlieferung. Mir scheint, das Erotische sollte verstanden werden nicht nur als der Drang zum Weibe und der koerperlichen Vereinigung mit ihr, sondern ins besondere vornehmlich als der Drang zur uebergeschlechtlichen Gemeinschaft mit ihr und mit ihren Kindern; darueber hinaus aber als Sehnsucht nach einer allgemeinen Vergesellschaftung. Der Mensch ist, seiner Natur gemaesz, ein gesellschaftsbildendes Wesen, und es draengt ihn Gesellschaft zu gestalten. Die buendigste Gesellschaft ist die Familie: weil ihre Mitglieder so eng mit einander vertraut sind, und einander ueber eine so grosze Zeitspanne kennengelernt und gekannt haben, dementsprechend geistig und seelisch miteinander verwachsen sind. Ist nicht in ihrem Beduerfnis Gesellschaft zu erhalten und zu gruenden die Liebe zu Eltern, zu Geschwistern, zu Kindern ebenso erotisch wie die Liebe zum Weibe oder zum Mann? Warum sollte es nicht eine vergleichbare Liebe zu Menschen (gleichen oder anderen Geschlechts) geben, eine Liebe von welcher es moeglich, aber durchaus nicht notwendig ist, dasz sie geschlechtlich ausartete. Wie es eine virtuelle geschlechtliche Befriedigung gibt, so gibt es auch eine virtuelle Vergesellschaftung; wie wenn ein Mensch in eingebildeten Unterhaltungen mit anderen sein Leben verbringt. Wenn er Musik schreibt, die von keinem gespielt wird, oder Buecher, die von keinem gelesen werden. Ist nicht eine solche virtuelle Vergesellschaftung Uebung und Voruebung fuer die Wirkliche? Oder jedenfalls Genugtuung einem unbefriedigten Triebe? In diesem Lichte erscheinen Lehre und Geschichte des Christentums nicht nur als ein fortwaehrendes Ringen um die Seele des Menschen sondern auch als ein fortwaehrendes Ringen um die menschliche Gesellschaft. Die Ablehnung (rejection) der Geschlechtlichkeit wird als Ablehnung des Fleischlichen gedeutet? Ist es nicht gueltiger, dies als Ablehnung menschlicher Intimitaet, menschlicher Gesellschaft zu deuten, wo doch des Menschen Herz und Sinn auf Gott, und nur auf Gott gewandt sein soll? * * * * *

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