19991124.00 Der Sinn des Unterschiedes zwischen der lockeschen Deutung des Gemuets als Tabula Rasa und der platonisch-christlichen Deutung des Gemuets als Inspiration, als transzendental, d.h. goettlich, eingegebenen Werten, Vorstellungen und Begriffen, mag darauf hin gedeutet werden dasz von Auszen, d.i. objektiv beurteilt, das Gemuet tatsaechlich ein Spiegel, ein mehr oder weniger ungetreuer Spiegel, der Auszenwelt ist, dasz aber das Erfahrene, das Empfundene, im Verlauf (Prozess) des Erlebens in bedeutender Weise verwandelt wird; naemlich in solcher (Weise), dasz es nunmehr als Bestandteil des Gemuets des Einzelnen ihm erscheint, und als solch Bestandteil von der Auszenwelt unterschieden, deshalb vermutlich transzendental eingegeben wurde. Mit anderen Worten, die Behauptung der Transzendentalitaet der sogenannten eingeborenen Ideen ist Ausdruck fuer die subjektivierung des Erlebten. Es kommt eine Verwachsung des Einzelnen mit der Welt zustande. Ich gehoere zur Welt; zugleich aber wird die Welt ein Teil von mir. Man kann endlos ueber dieses Paradox diskutieren, man kann es umtaufen (umnennen), man kann an ihm andere Perspektiven, andere Dimensionen entdecken. Aber jede vermeintliche Loesung des Widerspruchs ist Taeuschung; denn dieser Widerspruch liegt nicht im Gesprochenen, liegt nicht in Worten oder Begriffen. Dieser Widerspruch widerspiegelt die Wirklichkeit: und die Aufgabe des Denkers ist nicht das Raetsel zu loesen, ist nicht den Widerspruch zu entfernen: Im Gegenteil, die Aufgabe des Denkers ist auf den Widerspruch hinzuweisen, ihn hervorzustellen, ihn auszustellen, und das widerspruechliche Erleben auf das er zeigt zugaenglicher, eindrucksvoller und ueberzeugender zu machen. ============= Die Aufgabe ueberhaupt, (im allgemeinen) ist nicht die Widersprueche zu entfernen, sondern den Grund ihrer Notwendigkeit sichtbar zu machen. Wie in der Wueste, der Blick auf die eherne Schlange, die Gebrechen der Juden heilte, wie in der Autopsychotherapie die Vergegenwaertigung der Besorgnis der Antritt zur Besserung ist, so ist in der Erkenntnistheorie, die Darstellung des Paradoxes die Vorbedingung zu seinem Verstaendnis, zu seiner Eingliederung (assimilation) in die Erlebniswelt des Menschen. * * * * *

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