20000113.00 Es gibt vorgeblich zweierlei Arten Erkenntnis, und dementsprechend gibt es auch zweierlei Arten Erkenntnistheorie. Die herkoemmliche Auffassung befaszt sich mit nur einer dieser beiden Arten Erkenntnis, beziehungsweise, Erkenntnistheorie. Erkenntnis bedeutet herkoemmlicher Auffassung gemaesz die Gesamtheit dessen was vom einzelnen Menschen, was von der gesamten Menschheit gewusst oder wissbar ist. Es bezieht sich auf die Gesamtheit des Wissens wie es in Buechern und Zeitschriften veroeffentlicht, wie es in den Schulen und auf den Universitaeten gelehrt wird. Versucht man jedoch die Einzelheiten, die Bestandteile, die Grenzen eines solchen Wissens darzulegen, so ergibt sich sofort, dass eine Darstellung des gesamten Wissens unmoeglich ist; wenn nur, weil um das Wissens irgendwie darzustellen, der Darsteller das Wissen tatsaechlich beherrschen, tatsaechlich besitzen musz. Dasz aber ein solcher Besitz weit ueber die Kraft des Einzelnen hinausgeht ergibt sich schon aus der Ueppigkeit der Mitteilungseinrichtungen der gegenwaertigen Welt, welche die Aufnahmefaehigkeit des Einzelnen in unendlichem Masze uebertreffen; ergibt sich noch eindeutiger aus der Vergegenwaertigung der unverkennbaren Beschraenktheit dieser Aufnahmefaehigkeit, selbst bei dem Kluegsten und Gelehrtesten unter uns. Die Vorstellung einer umfassenden (comprehensive) Erkenntnis bleibt demgemaesz eben dies: eine Vorstellung, ein Bild, ein Ideal welches dem Handeln und Denken des Menschen ein Ziel ist, welches aber niemals in die Verfuegung oder in den Besitz des Einzelnen uebertragen werden kann. Der Entwurf einer Erkenntnistheorie ist daraufhin abgesehen, hat den unausgesprochenen, inbegriffenen Sinn (Zweck) diese Beschraenkungen des Wissens des Einzelnen zu ueberwinden: und doch, sobald diese Absicht aus ihrem Hinterhalt hindurchscheint, ist ihre Unmoeglichkeit, ihre Widersinnigkeit unverkennbar. Das Wissen laeszt sich durch keine Theorie ergaenzen. Und die Theorie welche eine solche Ergaenzung dennoch beansprucht weist eben damit ihre Maengel, ihre Unsinnigkeit auf. Die einzig gueltige Erkenntnistheorie ist deshalb eine negative, die Feststellung, in sokratischem Sinne: Ich weisz, dasz ich nichts weisz. Wie denn auch die einzig gueltige Theologie, eine negative ist, die Erkenntnis naemlich, dasz man von Gott nichts zu wissen vermag. Hingegen hat es mit dem Wissen des Einzelnen, mit dem was ich hier und jetzt weisz, Schwierigkeiten welche zwar anderer Art sind, aber in ihren Folgen, (Konsequenzen) dennoch vergleichbar. Man mache den Versuch dies individuelle, persoenliche, subjektive Wissen zu bestimmen: Wenn ich nun, in echt kartesischer Weise, mich auf das besinne was ich jetzt, in diesem Augenblicke weisz, so ist dies Wissen doch hoechst beschraenkt: wie etwa zum Beispiel, dasz ich hier am Computer sitze und Saetze deren Anfang ich ueberhaupt noch einmal ueberlesen musz um ihrer genau gegenwaertig zu werden, in die Tastatur eingebe, dasz mich, wegen der niedrigen Zimmertemparatur ab und zu froestelt, dasz mich mein rechtes Hueftgelenk schmerzt, und dasz diese Schmerzen, oder andere, in den rechten Oberschenkel ausstrahlen. Dasz mein Gedaechtnis mehr, viel mehr an den Tag zu bringen vermag, wenn ich ihm die Gelegenheit dazu gebe, oder wenn ich es dazu ansporne, dessen bin ich mir auch bewuszt, aber genau was es ist, das dabei an den Tag, ins (gegenwaertige) Bewusztsein gelangen wird, das weisz ich eigentlich nicht, eh es erscheint. So ist mein Denken wie eine Wanderung durch Wald und Wiesen, auf Pfaden welche mir im allgemeinen bekannt erscheinen, welche ich im einzelnen jedoch immer wieder aufs Neue zu erkennen genoetigt bin. Das Wissen waere dann die Bekanntschaft mit den Wegen, mit den Bahnen des Geistes, genuegend (sufficient) um mich zu orientieren, mich fort und zurueck zu finden, jedoch nur eine Bekanntschaft von Ungefaehr, welche von Augenblick zu Augenblick durch unmittelbare Eindruecke bestaetigt und ergaenzt werden musz. Jede dieser beiden Arten des Wissens ist durch eine ihm gehoerige Art der Theorie erklaert. Tatsaechlich, (actually) sind die Darstellung und Beschreibung selbst nichts mehr oder weniger als die erwuenschte Theorie: es geht nur darum dasz sie gruendlich und ausfuehrlich genug waere. In dieser Hinsicht (Beziehung, Perspektive) aehnelt die Theorie dem Wissen selbst, das sie zu erklaeren beansprucht: objektiv als eine nie erreichte und nie zu erreichende ideale Vorstellung; subjektiv als ein Geistespfad, als eine Denkrichtung derer ich mir bewuszt bin, und deren oertliche Eigenschaften ich von Augenblick zu Augenblick wahrnehme. Tatsaechlich dreht es sich bei diesen scheinbar widerspuechigen Ansichten ueber das Wissen, doch letzten Endes lediglich nur um idealische Begriffsbestimmungen von zwei verschiedenen Vorstellungen: einerseits die Vorstellung eines enzyklopaedischen universellen Wissen, das jedem Menschen, entsprechend seinen Geisteskraeften zur Verfuegung ist, welches aber kein Mensch erschoepfend besitzen oder beherrschen kann; und andererseitrs um die Beschreibung der Gedankenvorgaenge, der geistigen Erlebnisse, welche ich von Augenblick zu Augenblick, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag bei mir beobachten kann, welche begrenzt sind durch die Beschaffenheit meines Geistes und seiner koeperlichen Grundlage. * * * * *

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