20000423.00
Heute ist Ostern.
Schopenhauers Behauptung, die Welt sei meine Vorstellung,
zersprengt die Grenzen der Wirklichkeit, und setzt auch die
Legende von Jesu Auferstehung in ein anderes Licht. Einerseits
koennte man sagen, die Auferstehung gehoere in den Bereich meiner
Vorstellung, nicht mehr und nicht weniger verlaeszlich als
manches - oder alles - andere, das ich zu wissen meine, - von
dessen Gueltigkeit ich ueberzeugt bin. Andererseits aber waere
zu behaupten, - und dies Andererseits scheint mir zwingender
(more compelling), - dasz meine Vorstellung einer gewissen
erfahrungsmaeszigen (empirischen) Gesetzmaeszigkeit unterliegt;
und dasz die Auferstehung sich mit diesen aus der Erfahrung
flieszenden Bestimmtheiten nicht reimen laeszt; dasz ihre
Wirklichkeit, wenn ueberhaupt, eine jenseitige (transzendentale)
sein musz. Da jenseitige Wirklichkeiten uns aber prinzipiell
verschlossen sind und bleiben muessen, so stellt sich mir die
Frage: Wie komme ich ueberhaupt auf diese Vorstellung. Wie hat
sie sich mir offenbart, oder, was hat mich zu ihr verleitet?
Diese Frage ist im Grunde ununterschiedlich von der allgemeineren
Frage: Wenn die Welt (nichts als) meine Vorstellung ist, wie
komme (gereiche) ich dann auch nur zu der Ahnung einer dahinter,
eine jenseits bestehenden Wirklichkeit? Ich antworte: Ich komme
zur Ahnung einer Wirklichkeit jenseits meiner Vorstellung, weil
meine Vorstellung offensichtlich unvollkommen ist, weil ich mich
unablaessig in Irrtuemern entdecke, weil mein Dasein ein Kette
von Enttaeuschungen ist. So entspringt die Ahnung einer
transzendentalen unerreichbaren Wirklichkeit aus dem
schmerzhaften Bewusztsein der Unzulaenglichkeit meines geistigen
und seelischen (Er)lebens. Dies schmerzhafte Bewusztsein ist die
Quelle aller ernsthaften Religion, die Quelle gleichfalls aller
verantwortungsvollen Philosophie. Die Philosophie des sogenannten
logischen Positivismus ist verantwortungslos, insofern es die
Begrenztheit meines Wissens verleugnet und durch einen
anmaszenden, protzigen Anspruch auf ein allumfassendes
allgemeines Wissen zu verdecken sucht. Die Religion und die
Philosophie entspringen also aus einer gemeinsamen (common)
Quelle, befriedigen vergleichbare Beduerfnisse, und treten bei
den verschiedenen Menschen entsprechend ihren unterschiedlichen
Anlagen unterschiedlich in Erscheinung.
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