20000503.00 Der philosophische Idealismus ist durchaus konsequent und folgerichtig. Vom cogito ergo sum, vom "Ich bin mir bewuszt, also bin ich," fuehrt ein unmittelbarer Pfad zu der Einsicht, dasz mein gesamtes Wissen, und saemtliche Gegenstaende dieses Wissens von meinem Bewusztsein gefaerbt, von meinem Bewusztsein begrenzt, beeintraechtigt sind; mit anderen Worten, dasz die Welt meines Wissens, diese Welt die ich kenne, dasz ich mir diese Welt (nur) vorstelle, dasz diese Welt nichts als meine Vorstellung ist. Diese Vorstellung muss von der wirklichen Welt unterschieden werden. In diesem Sinne also ist die Vorstellung, wie unentbehrlich sie auch immer sei, unwirklich und unwahr. Diese Unwirklichkeit und Unwahrheit der Vorstellung zu erkennen laeuft auf die Erklaerung des Sokrates hinaus, dergemaesz er nur weisz, dasz er nichts weisz. Die Unzulaenglichkeiten unserer Vorstellungen offenbaren sich von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde. Es sind diese Unzulaenglichkeiten welche die Transzendenz der Wirklichkeit, d.h. eines moeglich voellig gueltigen Wissens, (i.e. of potentially totally valid knowledge), ueber unsere Vorstellungen, immer wieder im Bewusztsein erwecken. Es sind die Unzulaenglichkeiten unserer Vorstellungen welche als Irrtuemer, als Denk und Verstaendnisfehler erscheinen, welche im Zusammenhang (Kontext) unseres Willens zur Macht und zur Wahrheit, im Rahmen unseres Lebenswillens, uns der unentrinnbaren Notwendigkeit einer wirklichen Welt, einer Welt der Dinge und Geschehnisse an sich ueberzeugen. ========== Der moderne Leser meint dasz Descartes Berufung auf die Gottheit als gewaehrleistend fuer die Wirklichkeit der Welt ein religions-politisches Zugestaendnis war, mittels dessen er sich die venia legendi fuer seine philosophische und wissenschaftliche Taetigkeit beschaffte. Ob dem so war, weisz ich nicht; aber selbst wenn der bewuszte Anlasz zu dieser Feststellung ein aeuszerlicher und oberflaechlicher war; so scheint mir doch, dass die Hinzuziehung Gottes zur Gewaehrleistung der Wirklichkeit der Welt eine tiefe Wahrheit bekundet: eben diese, dasz der Mensch sich seiner geistigen und koerperlichen Begrenztheit und Schwachheit bewuszt ist, (dasz er weisz, dasz er nichts weisz) und seiner Unzulaenglichkeit dadurch Ausdruck gibt, dasz er an die Vollkommenheit, also an Gott glaubt. und somit diese Unzulaenglichkeit ausgleicht. Wenn es nun scheint, dasz in der Neuzeit das Gottesbeduerfnis und der Verlasz auf ein Goettliches nachgelassen haben, so mag dies der Fall sein, weil die Menschheit uebermaeszig eifrig bestrebt ist sich an Wissen und Macht zu bereichern. Und von diesem Bestreben derartig in Anspruch genommen, dasz sie sie vergiszt dasz sie nichts weisz, vergiszt dasz die Welt die sie kennt, nicht mehr ist als Vorstellung. Wer sich der Hinfaelligkeit seines Wissens bewuszt ist, der bedarf einer Agentur, bedarf eines Wesens welches die Wirklichkeit bewaehrt und verbuergt, bedarf eines Urgrundes aller Dingen, eine weitere Vorstellung welche die Menschen seit Jahrtausenden personifiziert und den Namen Gott gegeben haben. Indessen, wenn der Mensch sich ausschlieszlich damit beschaeftigt sein Wissen zu vermehren, zu praezisieren, dasz er die Tatsache seines Nichtwissens vergiszt, ja dann ist er so beschaeftigt, dasz er es ueberfluessig findet fuer den Gottesdienst Zeit zu eruebrigen. ======= Auch ist zu bemerken, dasz des Menschen Verlasz auf Gott, und seine Beziehung zu ihm aufs engste in die Gesellschaftsproblematik verwoben sind. Denn wie das Gesamtwissen ein gemeinschaftliches ist, welches sich auf den Einzelnen verzweigt; und von ihm als ein persoenliches und individuelles erlebt wird so auch in strikter Analogie, das Gotteserlebnis, die Gottesahnung. ====== Das bizarre Ende von Kleists Geschichte des Michael Kohlhaas, wo der verurteilte Kohlhaas unmittelbar vor seiner Hinrichtung die Kapsel welche das Geheimnis des Schicksals des Kurfuersten enthaelt, verschluckt, scheint mir symbolisch fuer die Tatsache, dasz sich in jedem Menschen im Laufe des Lebens Geheimnisse ansammeln, anhaeufen, (entfalten) welche er unvermeidlicher und notwendiger Weise mit sich zu Grabe tragen musz eben weil sie nicht mitteilbar sind; und dasz dieser Verlust der geheimen Weisheit vielleicht unter den Verlusten welche die Mitmenschen durch das Ableben des Sterbenden erleiden nicht der Geringste ist. ========== Begreift man die Welt als Vorstellung, so ergeben sich daraus fuer die Erkenntnistheorie weitlaeufige Folgen. Denn herkoemmlich ist es die Voraussetzung der Epistemologie, dasz es etwas Gewusztes gibt; indessen der richtige Anfangspunkt der Epistemologie, naemlich dasz mein Wissen nichts als Vorstellung ist, eine voellig andere Erkenntnistheorie zur Folge haben wuerde. * * * * *

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