20000515.00 Insofern meine Vermutung gilt, dasz das Wissen nicht, wie man meint, ein Vorgang lediglich im Gemuet des Einzelnen sei, sondern ein Vorgang des menschlichen Zusammenlebens, m.a.W., der menschlichen Gesellschaft, dann lassen sich viele der ungeloesten Raetsel des Wissens als Raetsel geistiger Gesellschaft, als Raetsel geistiger Verbindungen unter den Menschen, als Raetsel der Mitteilung, der Sprache, erklaeren. Dies scheint mir ins besondere der Fall auf dem Gebiete der neueren Philosophie, wo, wie mir scheint, jeder Denker bestrebt ist seinem inneren, subjektiven Erleben sprachlichen Ausdruck zu geben, und bei diesem Versuch, eben weil es ein inneres Erleben ist das er aussprechen will, eine neue, demgemaesze Sprache zu erfinden und zu entwickeln (to invent and elaborate) sich gedrungen fuehlt, und es wird dem um die Philosophie beflissenen Schueler zur Aufgabe diese Sprache zu erlernen und zu interpretieren (deuten, dolmetschen). Es ist also wenig erstaunlich, dasz man dem Verfolg solchen Erlernens einen wesentlichen Teil seines Lebens widmen muss, mit dem Ergebnis, dasz man trotz aller Muehe, in das Gemuetsverfahren des Schriftstellers in nur geringem Grade eindringt, oder garnicht, dass aber bei dem Versuch das eigene Denken verfeinert und vertieft wird; dass man befaehigt wird das eigene Denken in unerwarteter Weise auf ungeahnte Gebiete zu erstrecken und zu entfalten. Es ist also wenig erstaunlich, dasz man um auch nur die Moeglichkeit eines Verstaendnisses zu schaffen, dem Erlernen einer fremden Philosophie, d.h. einer Philosophie anders als der eigenen, sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelnden Gedankenlandschaft, einen wesentlichen Teil seines Lebens widmen muss. Wobei das erfolgreiche Erlernen der fremden Gedanken keineswegs gesichert ist. (is in no way assured) Fast moechte ich behaupten, dass dies gewuenschte und zum Ziel gesetzte Begreifen der fremden Gedankenwelt tatsaechlich eine Unmoeglichkeit ist; dass das vermeinte Inbesitznehmen der Anschauungen und Einsichten des anderen, des fremden Denkers, fast immer, wenn nicht sogar grundsaetzlich ein Missverstaendnis, zuletzt doch als eine Taeuschung erscheinen muss, eine Taeuschung mit welcher der Schueler sich fuer seine so kostspielige und aufwendige Muehe troestet; eine Taeuschung welcher auch der parodierte Philosoph beipflichtet, aus dem tiefen Beduerfnis, gehoert, verstanden, begriffen zu werden. Was aber tatsaechlich geschieht ist etwas anderes als die Uebertragung des fremden Gedankens ins eigene Gemuet: denn eine solche Uebertragung ist unmoeglich. Stat dessen wirken die fremden Gedanken als ein Reiz welcher den Lernenden zu eigenem Denken anspornt. Was hier geschieht ist eben dasselbe, wesentlich potenziert, was bei jedem Gespraech, bei jedem Austausch von Begriffen, Gedanken, von Worten geschieht; insofern als es den Beteiligten niemals gelingt, das was sie erlebt, das was sie erkannt haben, einander zu vermitteln. Statt dessen schaffen sie in ihrem sprachlichen Austausch ein von allem Erlebten letztlich unterschiedliches Gefuege welches die respektiven Erlebnisse keineswegs einander gleichschaltet, sondern welches in Bezug auf die angedeuteten Erlebnisse, ein gemeinsames Wirken ermoeglicht, sei es in Theorie oder Praxis. * * * * *

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