20000523.01
Beim Lesen von Kierkegaards Stadier paa Livets Vei ist es
mir ergangen wie bei der Unterhaltung mit einem alten Bekannten,
vielleicht sollte ich sogar sagen, mit einem alten Freunde.
Vieles das er ausspricht mutet mich absonderlich an; doch fahre
ich fort zuzuhoerend, schweigend, denn ich vermute, dass ich ihn
nicht recht verstehe, dass mir aber im Laufe der Unterhaltung
klar werden wird, was er mir zu sagen hat. Stat dessen aber
werde ich gewahr, dass ich da aus dem Munde des Freundes Gedanken
vernehme die nicht nur absonderlich sind, sondern Gedanken denen
ich unter keinen Umstaenden zustimmen koennte, Gedanken die
meinen Ansichten, die meinem Wesen am Tiefsten zuwider sind.
Ich meine die verschiedenen abschaetzigen boshaften Urteile
ueber Frauen in welchen die Reden des Gastmahls bestehen. Weisz
Gott ich bin kein Frauenfreiheitsrechtler und habe keine
Sympathie fuer die Erhoehung der Frau als ein ausgezeichnetes
Wesen. Aber ich hege ein gewisses Gefuehl fuer Masz und Ordnung,
fuer alles was in der Eroerterung eine Gedankens zienlich ist;
einen Sinn fuer Gerechtigkeit im Urteil und Groszzuegigkeit in
der Betrachtung. Fuer Hass und Verachtung, fuer Geringschaetzung
aus Voreingenommenheit, habe ich keinen Sinn. Wie ist es
moeglich, frage ich mich, dasz der Verfasser von Kjerlighedens
Gjerninger so hass-erfuellte, so niedertraechtige, so
verleumnende Betrachtungen ueber Frauen veroeffentlicht?
Hinzu kommt, wenngleich nicht auf ethisch-aethetischer Ebne,
sondern auf logischer, die Irrationalitaet der unsinnigen
Verallgemeinerung. Bei abstrakt thjeoretischen Ausfuehrungen
lassen sich Verallgemeinerungen entschuldigen, als unerlaeszlich
um einen neuen Sinn zu entwickeln und klarzulegen. Aber bei
Verallgemeinerungen ueber Menschen, von denen vorauszusetzen ist,
das ein jeder von ihnen ein Kind Gottes, eine Individualiaet,
eine Innerlichkeit ist, wie vermag man ueber diese im Bausch und
Bogen herzuziehen als waeren sie nichts mehr denn einfoermige
Kloetze? und dies von einem Verfasser der sich als
Inwendigkeitsspezialist kund gibt. Ich bin ratlos, - denn
sprachlos bin ich ja offenschinig nicht.
Oder besteht der Mangel auf meiner Seite, und darin, dass
ich keinen Witz, dass ich keinen Spass verstehe, dass der
Verfasser nicht nur das was er sagt selbst nicht ernst nimmt,
dass er es nicht nur nicht meint, sondern dass er sogar
ausgerechnet das Gegenteil meint von dem was er sagt, dass seine
Worte tatsaechlich die Wirkung bezwecken, die sie bei mir
ausloesen, zu dem Zweck die Gueltigkeit des Gegenteils
unmiszverstehlich aufzuweisen?
Vielleicht ist mein Schrecken, mein Entsetzen Beweis dafuer,
dass ich fuer das hoitidelige, das vornehme, ausgesucht geistige
Schrifttum (for sophisticated literature) doch keinen Sinn habe
sondern ueber nichts hoeheres als eines Buchhalters Geist
verfuege, dem Zweideutigkeiten in der Eintragung unertraeglich
sind.
Ich will versuchen mich zu beruhigen, will mich daran
erinnern, dass ich selber fuer die Haeszlickeiten und
Geschmacklosigkeiten in den Texten die ich lese nicht
verantwortlich bin; dass meine Verpflichtungen der Eindeutigkeit
und Klarheit und Wahrheit des Verstehens gelten; dass mir weder
Verpflichtung noch Fug zukommt, diesen Verfasser zu verurteilen,
und dass ich mein Urteil ueber ihn einschraenken mag, nur auf
mein Verstaendnis von dem was er schreibt, von dem was er erlebt
hat, und von dem wer er ist.
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