20000801.00
Die kommunikative Wirksamkeit mathematischer Symbolik. Die
mathematische Erklaerung der Natur als Symbolisierung. Das Wesen
der naturwissenschaftlichen Gesetzlichkeit. Die Gesetzlichkeit
in der Natur und ihre Grenzen. Entidealisierung und
Entsymbolisierung. Die Entsymbolisierung als die eigentliche
Aufgabe der Philosophie. Die Beschreibung und Analyse der
Wahrnehmung als Entsymbolisierung.
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Ueber die Zeit.
Die Bereiche der Zeit-Vorstellung und Zeit-Messung weisen
eine verwickelte Problematik auf, eine Problematik welche, als
erstes, am Anfang, (vorerst, to begin with) als Muster
menschlicher Denkungsart fuer ihre Unschluessigkeiten,
Ungenauigkeiten und Widersprueche ausgelegt werden musz. Denn es
ist ein Fehler, vielleicht der folgenreichste aller Fehler in
welche unser Denken uns verstrickt, mit dem Vorsatz an das Denken
heranzutreten, dasz das Denken nicht nur die Problematik der
Erfahrung an die es sich wendet, sondern auch die Problematik die
es selbst geschaffen hat beseitigen sollte. Nichts ist
unrealistischer. Das Denken beseitigt die Probleme nicht, es
verlegt sie; und diese Verlegung der Problematik welche das
Denken bewirkt ist guenstig oder unguenstig, je nach der Lage in
welchem das Gemuet (mind) sich befindet, und je nach den Zwecken
und Zielen welche das Gemuet verfolgt, und je nach den
Beduerfnissen und Noeten welche durch das Denken behoben werden
sollen. In keinem Falle aber ist es sinnvoll anzunehmen oder
vorauszusetzen, dasz wirksames, gueltiges, "erfolgreiches" Denken
ein glattes, von allen Widerspruechen und Ungereimtheiten und
Zweideutigkeiten bereinigtes Gedankengelaende hinterlassen
sollte.
Mit dieser Warnung (precaution) wende ich mich zu der Frage
nach der Bedeutung der Zeit, erst um das sie betreffende naive
Erlebnis zu mustern, und dann, soweit es mir moeglich ist, die
Analyse, die Zergliederung des Zeiterlebnisses in seine
verschiedenen verwickelten Faeden zu verfolgen.
Der Mensch lebt in der Gegenwart, und die Gegenwart als
solche ist ihm kein Problem. Gegenwart ist die Gesamtheit der
Gegenstaende und Vorgaenge, der Substanzen und Funktionen, mit
welchen der Mensch im Wechselverhaeltnis lebt, with which man
lives in a reciprocal relationship; welche er meint beeinflussen
oder bewirken zu vermoegen, und deren Wirkungen und Einfluessen
er sich ausgesetzt fuehlt. Weil diese seine Meinungen je nach
seinem Befinden schwanken ist auch der Gegenwartsbegriff ein sehr
elastischer. Wenn ich mich auf einer Wanderung, vom Gewitter
ueberrascht befinde, dann besteht Gegenwart aus Sturm und Regen,
Blitz und Donner. Fesselt ein einziger heller furchterweckender
Blitz meine Aufmerksamkeit, und erlischt sofort in ein den Augen
undurchdringliches Dunkel, so wird der Blitz alsbald
Vergangenheit und die Gegenwart ist nun die Stille in der ich die
Ankunft des vom Blitz ausgeloesten Donners erwarte. Waehrend ich
mich auf einer Reise befinde, bedeutet (constitutes) die Reise
die Gegenwart, indessen das Zuhause das ich verliesz (und das ich
wiederzufinden erwarte), Vergangenheit (und Zukunft) bedeuten.
Was das Gemuet als Gegenwart betrachtet ist Ausdruck der
jeweiligen Gesinnung.
Die Messung, die Berechnung der Zeit aber, mit welcher das
Gegenwartsbewusztsein fortwaerhrend ringt ergibt sich von selbst
aus dem Abwechseln von Tag und Nacht und aus dem Wechseln der
Jahreszeiten. Es ist natuerlich, selbstverstaendlich, dasz
dieser Tag oder diese Nacht, dieser Fruehling oder dieser Herbst
sich mir als geschlossene Gegenwart bieten. Doch straeubt sich
das Gegenwartsbewusztsein gegen jegliche Bindung. Wenn ich aber
die Tagesdauer in Stunden, Minuten und Sekunden aufteile, dann
verlieren diese errechneten Teile (Zeitstuecke) die
Charakteristik einer anschaulichen Gegenwart wohl eben darum,
weil sie kein natuerliches Gepraege haben, sondern nur aus
arithmetischen Grenzen bestehen, es sei denn dasz man das anonyme
Tick-Tock der Uhr als Gegenwart gestaltend erleben und deuten
moechte.
An dieser Stelle ist noch eine weitere Zeiteinheit zu
erwaehnen, der Augenblick, als natuerliche und bedeutsame
Einteilung der Zeit. Der Augenblick ereignet sich (occurs) in
der Gegenwart, ist selbst aber die Gegenwart nicht. Im
Unterschied zur Gegenwart, welche Dauer aufweist, ist der
Augenblick, allenfalls in seiner Erlebnisweise, momentan,
unverzueglich voruebergehend. Ich lege dem Augenblick, diesem so
herkoemmlichen und gelaeufigen Ausdruck, eine doppelte Bedeutung
bei: erstens bezeichnet er das Bild, den Sinnesgehalt, welchen
das Auge in einer einzigen raschen Augenbewegung, der Sakkade,
sogenannt, zu erhaschen vermag. Zweitens aber ist der Augenblick
die rasche Bewegung des Auges selbst, ein Zucken, ein Blickwurf,
technisch, die Sakkade, welche die notwendige zeitliche
Vorbedingung fuer jegliches Erblicken, fuer jegliche okulare
Bildaufnahme ist. Der Augenblick vermag nicht als Gegenwart zu
wirken weil sein Gehalt allein zu duerftig, zu begrenzt, zu kurz
ist um als Basis fuer Anschauung oder Reflexion zu dienen. Die
Gegenwart ist ein psychisches, inwendiges Aufhalten der Zeit; der
Augenblick ist zu fluechtig um dazu zu taugen.
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