20001206.00 Die sachliche und die kritische Einstellung Alle geistige Taetigkeit mag entweder als sachlich oder als kritisch betrachtet werden. Als sachliche Einstellung bezeichne ich ein Verhalten welchem eine zusammenhaengende (kohaerente) Vorstellung der Welt zugrunde liegt, und welches wiederum eine zusammenhaengende (kohaerente wirksame) Vorstellung der Welt befoerdert und bewirkt. Eine solche sachliche Einstellung wird im allgemeinen als wissenschaftlich bezeichnet. Genauer bedacht ist die sachliche Vorstellungsweise ein Verhalten nicht des Einzelnen, sondern der Gesellschaft, eine Vorstellungsweise die auf den verschiedenen technisch-mathematischen symbolhaften Sprachen welche sich im Laufe der Jahrtausende entwickelt haben beruht, und durch diese fortentwickelt wird. Es ist aber zugleich die allgemeine Erfahrung, dasz diese sachliche Weltvorstellung alles andere als statisch ist. Sie ist niemals fertig, niemals vollstaendig. Sie ist dynamisch und stets der Entwicklung, der Berichtigung ausgesetzt. Stets scheint sie der Verbesserung, Korrektur, und Vervollkommnung beduerftig. Der Einzelne aber ist lebenslang bestrebt sich die sachliche Weltvorstellung anzueignen, in welchem Masze er dazu faehig ist; und sie, insofern ihm dieses gelungen ist, zu berichtigen und zu verbessern. Und wird trotz aller Bemuehungen nie damit fertig. Der Mensch wird sich der Unzulaenglichkeit des sachlichen Weltbildes und des sachliches Wissen bewuszt. Er gelangt zu der Einsicht dasz er nichts weisz, als das er nichts weisz (Sokrates); dasz die Welt nichts mehr oder minder ist als seine Vorstellung (Schopenhauer) und dasz der Einzige Anker in der Ungewissheit die ihn umflutet, sein eigenes Bewusztsein, die nackte unmittelbare Gewissheit des eigenen gegenwaertigen Denkens ist. (Descartes) Es bieten sich ihm zwei Wege (Moeglichkeiten) auf die Unzulaenglichkeit, die Widerspruechlichkeit des sachlichen Weltbildes zu reagieren; Einerseits fuehlt er sich genoetigt um die Sachlichkeit zu ringen, sein Wissen, sein Kennen zu erweitern und zu vertiefen, sich mit der unzulaenglichen Sachlichkeit abzuplagen, um sie endlich zu bezwingen, ein fortwaehrendes Kaempfen, Ringen (struggling) welches, wenn er es wahrhaftig und realistisch betrachtet, nicht einmal dahin fuehrt, dasz er die Grenze eines abschlieszenden vollkommenen Wissens auch nur erblickt. Die andere moegliche Reaktion auf die Ungenuegsamkeit des Wissens ist ein Umschlag (Rueckschlag) ins Bewusztsein; urspruenglich bei Platon, mit der Frage, wie weisz ich, wie vermag ich mich zu versichern, wie vermag ich festzustellen, dasz das was ich jetzt denke, fuehle, sehe, hoere, nicht die Gedanken, Gefuehle, Gesichte, die Laute eine Traumes sind? Auf diese Frage gibt es bekanntlich keine Antwort; oder wenn, eben nur diese: dasz tatsaechlich alles was ich erlebe mehr oder weniger traumhaft ist: dasz die Unterscheidung zwischen Traeumen und Wachen nur eine relative, eine verhaeltnismaeszige ist. Die Frage um das Bewusztsein kommt nicht von der Stelle; denn die einzig verlaeszliche Antwort deren sie faehig ist, ist eben dasz ich bewuszt bin, dasz ich meiner selbst bewuszt bin, ist die schiere Anwesenheit des Bewusztseins: nichts mehr. Zugegeben, es ist von Wert, aber nur von verhaeltnismaeszigem, jedes Faktum der Sachlichkeit an seiner Bewusztseinsbeziehung zu pruefen. Dergleichen Pruefung moechte genuegen (gereichen) die Ueberschwenglichkeit mancher (jeglicher) Sachbehauptung zu daempfen; aber es scheint mir sehr unwahrscheinlich, dasz eine solche Pruefung, es sei denn in negativem Sinne, zur Foerderung des sachlichen Verstaendnisses beitragen wuerde. dem sachlichen Verstaendnis foerderlich sein wuerde. So wird die kritische Haltung dem Einzelnen zu Hort und Schutz gegen die Ansprueche der Sachlichkeit; ist dabei aber durchaus unproduktiv und fuehrt zu keinem Ergebnis als die Integritaet (das Bestehen, die Vollstaendigkeit, die Ganzheit) des Einzelnen, trotz seiner Unzulaenglichkeit, zu bewahren, zu schuetzen. * * * * *

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