20001225.00
Die Gueltigkeit des Denkens ist zweierlei Art: theoretisch
und behilflich (instrumental, Hilfsmittel). Als Hilfsmittel
steuert die Sprache die Handlung des Einzelnen. Als Hilfsmittel
koordiniert die Sprache die Handlungen von vielen, sonst
verschiedenen Menschen. Als Hilfsmittel steuert die Sprache die
Handlung des Einzelnen. vor allem aber koordiniert sie die
Handlungen von vielen, sonst verschiedenen Menschen; und ist
demgemaesz Vorbedingung und Grundlage (fast) alles
gesellschaftischen Zusammenwirkens. Aber nicht, z.B. im
Orchester, im Tanz, in der Musik, wo eine andere Stufe der
Mimesis herrscht.
Es ist auch dienlich in diesem Zusammenhang (in this
context) die wissenschaftlichen Lehren, einbeschlossen die
mathematischen, als sprachlich instrumental zu bewerten
(erklaeren).
Um zu tieferem Einverstaendnis zu gelangen, musz die Sprache
sich verfeinern, must distinguish itself, musz Unterschiede und
Aequivalenzen (Gleichwerte) feststellen, musz sich selbst
korrigieren. Dabei wird die Sprache selbst zum Gegenstand, der
besprochen wird. Dabei wird die Sprache selbst zum Gegenstand
der Betrachtung, wird Theorie.
Es ist eine wesentliche Eigenart der Sprache, dasz sie
faehig ist sich selbst zu korrigieren, zu berichtigen. Es
unterlaeuft (ihr) jedoch bei dem Berichtigungsverfahren ein
Irrtum. Ihre Symbolhaftigkeit verleitet zu den Annahmen, dasz
die sprachlichen Ausdruecke selbst Substanz besitzen; und dasz
die sprachlichen Ausdruecke eine von ihnen unabhaengige
Wirklichkeit vertreten (representieren). Beide Annahmen sind
fehlerhaft, und verleiten zu endlosen Miszverstaendnissen.
Man vergiszt dann, wie provisorisch und improvisorisch wie
zufaellig, die Sprache selbst ist, in ihrem Ursprung daraus, dasz
mehere Menschen zusammengeraten und genoetigt sind sich zu
verstaendigen, und zu diesem Zwecke eine Sprache, einen Austausch
von modulierten Lauten entwickeln, mittels dessen sie einander
ihre Gesinnungen, ihre Vorhaben mitteilen. Wie fragmentarisch
und unvollkommen diese Mitteilungen sind liegt auf der Hand. Und
es ist eine Binsenwahrheit (Gemeinplatz, Truism) dasz die
Menschen sich am Ende doch nicht verstehen.
Um das unvollstaendige Einverstaendnis untereinander zu
vertiefen und zu befestigen stellen die Menschen sich an, die
Unbestimmtheiten der Sprache zu bestimmen, die Unklarheiten der
Sprache aufzuklaeren, die Ungenauigkeiten der Sprache zu
praezisieren. Dies tun sie, indem sie sich entschlieszen den
Worten welche sich aus ihrer Zusammenwirken entwickelt haben,
genauere Bedeutungen anzubestimmen (zuzuweisen). Waehrend die
urspruengliche Erfindung des Wortes sich aus den Notwendigkeiten
(exigencies, Dringlichkeiten) des Zusammenwirkens ergab, ist die
weitere Begriffsetzung des Wortes, die Verfeinerung der Sprache
Ausdruck der Unzufriedenheit des Einzelnen mit ihr, Ausdruck der
Unstimmigkeit von Sprache und Erleben, ist somit ein Bestreben
die Sprache in Einklang mit dem individuellen Erleben zu bringen.
Und dieser Versuch miszlingt, weil Sprache und Erleben zwei
verschiedene Sachen sind und bleiben, die nimmer in Einklang mit
einander geracht zu werden vermoegen, so dasz jede
Begriffsbestimmung am Ende willkuerlich ist, und nicht nur das,
sondern der Forderung die sie hervorgerufen (provoked,
veranlaszt) hat nie wird genuegen koennen.
Ich unterscheide aber eine zweite Art der Begriffssetzung
welche nicht rein persoenlich, individuell, solipsistisch
motiviert, begruendet, verursacht, angetrieben, herbeigefuehrt
wird, sondern welche wiederum, aufs neue, dem
Verstehensbeduerfnis der Verstehensnotwendigkeit entspringt.
Dies ist die wissenschaftliche Begriffsbildung, die
wissenschaftliche Definition der Worte und Symbole, in der
Mathematik, in den Naturwissenschaften, aber auch in den
sogenannten Geisteswissenschaften. Diese wissenschaftliche
Begriffsbildung beruht auf einem gemeinsamen Erleben aber nicht
der Welt sondern der Begriffe. Die wissenschaftliche
Begriffbildung fuehrt an erster Stelle zu einer buendigeren
Uebereinstimmung und Harmonisierung der Wissenschaftssprache; wo
dann die Richtigkeit (correctness) der Begriffe nicht in einem
wirksameren Zusammenerleben und Zusammenwirken gegenueber (im
Kreise) der Natur, sondern im viel beschraenkteren Kreise des
Begriffsverstaendnisses und der Begriffsbildung festgestellt
(determined, konstatiert) wird.
Jedoch geschieht alle Begriffbestimmung im Schatten des
potentiellen Nichtverstandenwerdens und Nichtverstehens. Jedoch
ist alle Begriffbestimmung mit der Moeglichkeit, wenn nicht gar
Wahrscheinlichkeit potentiellen (moeglichen)
Nichtverstandenwerdens und Nichtverstehens behaftet. Je
entfernter von gewoehnlich alltaeglicher Erfahrung, umso groeszer
ist diese Gefahr. Tatsaechlich ist das geistige Leben von Tag zu
Tag und von Woche zu Woche, ein Ringen um das Verstehen und um
das Verstanden werden.
Der Versuch aber, mittels der Begriffe, die sich im Kampf um
das Verstehen ergeben, die wirkliche Welt, oder auch nur eine
synthetische zu entdecken, schlaegt fehl. Die Begriffe, die Worte
sind selbst nicht wirklich, und weisen, auszer ueber das Erleben,
auf keine Wirklichkeit.
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