20010418.00 Es ist vielleicht das groesste denkbare Lob (praise) die hoechste denkbare Anerkennung, wenn ich feststelle, dass es mir mit Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen vergleichbar geht wie mit anderen philosophischen Werken, wie etwa mit der Kritik der reinen Vernunft, in die ich versuche mich hineinzulesen, und in denen ich dann, so zu sagen, (so to speak) stecken bleibe, oder stecken geblieben bin. Der Vorsatz in jedem Falle ist das gegebene Werk erschoepfend zu begreifen: und dieser Vorsatz scheitert vorerst an der Hinfaelligkeit des Gedaechtnisses, der Erinnerungskraft die mit dem Altern so merklich abnimmt. Doch scheint es mir ein Fehler die Gedaechtnisschwaeche als Ursache des Nichtbegreifens zu setzen; denn selbst bei dem schaerfsten und zaehesten (tenacious) Erinnerungsvermoegen ist das Begreifen in diesem erschoepfenden Sinne eine Unmoeglichkeit. Denn die Gedanken und Begriffe welche aus der Entfernung zusammenhaengend (coherent) und einander (gegenseitig) bestaerkend erscheinen, zerfallen bei naeherer Betrachtung in verschiedene, sich oft widersprechende Bruchstuecke (Fragmente, Teile), deren Uebersichtlichkeit sich als ein unerfuellbares (inachievable) unausfuehrbares, unerreichbares Ideal (Muster, Vorbild) erweist. Nichts gelingt als ein Ansatz zu verschiedenen (diverse) Betrachtungen deren Zusammenhang nicht in dem Betrachteten liegt, sondern in dem Betrachter: Die Geschichte des Denkens ist von dem Gedachten unterschieden. Die Geschichte des Denkens vermag nicht das Gedachte zu offenbaren. Was die Geschichte des Denkens offenbart ist nicht das Gedachte, - sondern Geschichte. Geschichte ist eine besondere Kategorie des Denkens. So wenig wie die Geschichte der Musik Musik ist, So wenig ist die Geschichte der Philosophie, Philosophie, so wenig ist die Geschichte des Denkens, Denken. So wenig erreicht die Geschichte des Denkens das Denken selbst, Um Musik zu begreifen muss man selbst musizieren. Um das Gedachte zu begreifen muss man selbst denken. Und dabei bleibt das Gedachte letztlich unerreichbar, es verfliegt wie der Atem, nicht anders als ein Wind. und das Niedergeschriebene ist nichts als die Spur des Gedachten. Das Verstehen ist das Nachziehen des Gedankenfadens, ist das Nachdenken des Gedachten. So wie man versuchen kann, in den Fusstapfen eines Vorgaengers zu schreiten, und damit doch den Vorgang nicht voellig (vollkommen, completely) wiederholen kann, so mag man versuchen die Begriffe eines Vordenkers nachzudenken, ohne jedoch dessen Gedanken (Denken) gaenzlich (vollkommen, completely) zu wiederholen, oder auch nur teilweise zu wiederholen, weil es letztlich unmoeglich ist, das Denken eines anderen ueberhaupt zu erreichen. Das Ergebnis ist ein Denken, - ein Nachdenken, welches mit seinem Vorbild eine gewisse beschraenkte Aehnlichkeit hat, welches den Denkenden auf eigene (eigenartige) Weise befriedigt. Aus dieser inwendigen Befriedigung stammt seine Gueltigkeit, denn denn die (vermeintliche) Uebereinstimmung mit den Gedanken anderer ist illusorisch. (taeuschend). Eine wesentliche Schwaeche von Cassirers Werk ist seine Satzung des Mythos als von anderer geistigen Taetigkeit getrennt (gesondert, separate) Ist ueberhaupt die Dreiteilung seines Werkes in Sprache, Mythos und Wissenschaft: drei Kategorien welche einander keineswegs ebenbuertig sind. drei Kategorien welche keineswegs gleichen Ranges sind. Denn die Sprache ist ein Tun und Erleben das an der Wurzel der geistigen Existenz liegt. Mythos ist eine historische Kategorie mittels derer man bestimmte Ueberlieferungen welche abseits von unserem taeglichen Denken liegen erklaert. Ist aber und bleibt ein historischer Begriff. Man sagt nicht ich will mythisch denken wie man sich etwa dazu entscheidet musizieren zu lernen, oder franzoesisch zu sprechen. Die Sprache sprechen tut jeder, ob er nun mythisch denkt oder spricht oder nicht. Vermeintlich ist das mythische Denken etwas fremdes, befremdendes, entferntes, (remote) das wir nach zu denken, nach zu verstehen versuchen. Dessen wir selbst aber unfaehig sind. Ein noch groeberes Miszverstaendnis liegt in Cassiers Taxierung (Assessment) (Deutung, Erklaerung) der Wissenschaft, insofern er die positivistische Deutung der Wissenschaft zu akzeptieren und zu bestaetigen scheint. Tatsaechlich ist die Wissenschaft ein Begriff, eine Vorstellung, eine Idee, ein Ideal. Sie besteht nur als Intention, als Vorhaben der Wissenschaftler. Die Begruendung der Wissenschaft auf Mathematik hat lediglich begrenzte Gueltigkeit. Sie ist nicht weniger bedeutsam ist die Begruendung der Wissenschaft aus der Sprache. Die Eigenart der Mathematik ist die zwangshafte Einheitlichkeit ihrer Bedeutung. Waehrend ein Wort fuer jeden Sprechenden und fuer jeden Hoerenden eine etwas abweichende, abgefaerbte Bedeutung besitzt, hat die Zahl, so wie jeder andere mathematische Ausdruck, wie jede andere mathematische Formel, fuer alle beteiligten Wissenschaftler die gleiche Bedeutung; erhaelt von allen von ihnen die gleiche Auslegung. Die Regeln Auslegung mathematischer Symbole stehen fest, und werden systematisch eingeuebt und verteidigt, waehrend die Auslegung sprachlicher Symbole in viel hoeherem Grade von den Einzigartigkeiten (uniqueness, idiosyncracies) des Sprechers oder des Hoerers abhaengt, so dass der Bedeutung des Wortes stets eines gewisse Zweideutigkeit, (ambiguity, uncertainty, Vieldeutigkeit) Unbestimmtheit anhaftet. Diese Einheitlichkeit, diese Uniformitaet des Denkens, des Ausdrucks, des Wahrnehmens, des Verstehens, des Deutens, schmiedet alle an der Wissenschaft beteiligten Geister zu einem groszen, gewaltigen einheitlichen geistigen Instrument, dessen Wirksamkeit, dessen Macht, ueberall in dem Wirken dessen, das man Wissenschaft nennt, offenbar ist. * * * * *

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