20010602.01 Wie die Sokratische Erkenntnis des Nichtwissens, scio me nescire, der Kern der Erkenntnistheorie ist, so ist die Erkenntnis der Unvollkommenheit (Verderbtheit) alles Handelns (jeglichen Ausdrucks) der Kern der Ethik. Die Voraussetzung der herkoemmlichen Ethik, dass sie zu bestimmen vermag was gut ist und was boese, dass sie die Anleitung zu der tugendhaften Handlung zu liefern vermag, ist eine Mutmassung welche ihre beschraenkte Gueltigkeit nur in den Bereichen der Theorie (verstehe Schwafelei), in den Bereichen der Faselei besitzt. Blickt man auf die konkrete Situation in welcher der Handelnde sich jeweils befindet, so verfluechtigt sich die Gewissheit, und der Einzelne steht unschluessig vor der Frage, was er tun soll, voellig ratlos festzustellen was in dieser besonderen Lage das Gute ist. Man taeuscht sich mit der uebermaessigen Vereinfachung welcher die Vorstellung faehig ist. Man sagt mit dogmatischer Sicherheit, dass es boese (evil) ist, einen Menschen der einem nie ein Leid getan, und der ihm in keiner Weise eine Gefahr darstellt, absichtlich zu verletzen, geschweige denn, ihn zu toeten. Wie aber urteile ich ueber meine moralische Pflicht, in Angesicht zweier Menschen, von denen der eine im Begriff ist, den anderen zu toeten, wenn ich ihn nicht mit Gewalt davon abhalte. Zugegeben ich habe oder haette die Pflicht den kuenftigen Moerder von seiner Untat abzuhalten, wenn noetig mit Gewalt, aber mit welchem Masse von Gewalt, die Pflicht ihn von seiner Untat abzuhalten in dem ich ihn verletze, vielleicht schwer verletze, vielleicht sogar toete, um den vermeintlichen Tod des anderen zu verhindern; einen Tod der noch nicht eingetreten ist, und der vielleicht nie eintreten wuerde, durch einen unprovozierten Totschlag meinerseits zu verhindern mich anmasse. Man sieht, wie leicht, wie unvermeidlich das Abgleiten von der moralischen Sicherheit ins Ungewisse, ins Unbestimmbare. Man braucht ja nichts mehr als die urkunden der Strafverfahren nachzustoebern, bei deren jeder es die Pflicht des Verteidigers ist, seines Mandanten vermeintlich strafbare Handlung in das best moegliche Licht zu versetzen; ein Verfahren welches auf Seiten des Verteidigers das groebste Unrecht bezeichnete, vorausgesetzt, dass es ein unanfechtbares Recht und Unrecht gaebe, ein Verfahren jedoch, welches wir als annehmbar, wenn nicht gar wuenschenswert betrachten, weil wir unter dem fadenscheinigen Schleier unser Moralisierungen schon laengst ueberzeugt sind, dass die Grenze zwischen Recht und Unrecht nicht immer, oder fast nie, zu bestimmen ist. "Wir wissen nicht was wir beten sollen," ist das Korrelat der Erbsuende. Wie es kein gueltiges Wissen gibt, oder wie es mir untersagt ist mich eines gueltiges Wissens zu ruehmen, so gibt es keine unbestreitbar gute Handlung. Jede (ehrliche) ethische Analyse fuehrt zu dem Beschluss dass keine Handlung wirklich gut ist, denn jede (ehrliche) ethische Analyse fuehrt zu einem Widerspruch, fuehrt zu einem Paradox der Werte. Diesen Widerspruch zu leugnen, in der Tat zu leugnen, indem man ein Kompromiss eingeht, indem man sich auf ein Kompromiss einlaesst, (ich waehlte ihn nur um schlimmeres zu verhueten) diese Affirmation (Bestaetigung) des Wirklichen mag, wie man es eben sehen will, kann als die Verklaerung (transfiguration) des Guten in der Wirklichkeit, gedeutet werden; kann aber auch gedeutet werden als Verrat (betrayal, Verleugnung) des vollkommenen, idealen Guten als der entscheidende entgueltige (conclusive) Pakt mit dem Boesen. Das "Was heissest du mich gut?" Christi, "Nur Gott ist gut", bedeutet fuer die Ethik was Sokrates Nichtwissen in der Erkenntnistheorie bedeutet. Wie das Erkennen seines Nichtwissens die unerlaessliche Grundlage des verantwortungsvollen Denken ist, so ist das Bekennen seines Nichtkoennen, seiner (moralischen) Schwaeche im Handeln, das Bekennen der Suende, die unerlaessliche Grundlage des verantwortungsvollen Handelns. ========== Wenn der Mensch nicht zu wissen vermag was gut ist, dann vermag er nicht, jedenfalls nicht willentlich, das Gute zu tun. Tut er es dennoch, so ist es zufaellig, wahllos. Es ist aber eine Voraussetzung der herkoemmlich EDthik, dass das Gute bewusst gewaehlt werden muss, und wenn ich die Kantsche Ethik recht verstehe, so betont sie, dass der ethische Wert nicht in der Ausfuehrung der Handlung gelegen ist sondern in der guten Gesinnung, also in der Entscheidung zu Guten. Demgemaess ist der ethische Wert vom Wissen bedingt, und wo das Wissen sich als unmoeglich erweist ist die gute Tat unmoeglich. Dieser Lehre zufolge waere das Nichtwissen, waere die Ignoranz, die Unkenntnis des Guten die Erbsuende welche dem Schicksal des Menschen von Anbeginn anhaftet. Es liegt auf der Hand, dass diese Betrachtungen nah an die Sokratisch-Platonische Behauptung fuehrt, dass das Boese die Folge des Unwissens ist, dass der Wissende Mensch unvermeidlich, inevitably, das Gute tut. Indessen scheint es mir, dass das gute dem Menschen unerkenntlich ist, und dass es ihm deshalb unmoeglich ist das Gute zu tun, es sei denn durch Zufall. * * * * *

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