20010807.01 Wenn ich die Aristotelische Logik die erste Wissenschaft, und die mathematische symbolische Logik die zweite Wissenschaft nenne, so dienen die Bezeichnungen erste und zweite lediglich zur Identifikation. Des Ausdrucks Wissenschaft aber bediene ich mich in einem erweiterten Sinne als gewoehnlich, insofern ich das geschulte, zielbewusste Denken als Wissen bezeichne, und als Wissenschaft die systematische Gestaltung oder Organisation eines solchen Wissens. Der dritten Wissenschaft gebe ich diesen Namen lediglich um ihre Stellung in Beziehung zur Aristotelischen Logik und zur symbolischen Logik zu kennzeichnen. Meine Bezeichnung dieser dritten Wissenschaft als empirisch und dynamisch legt die Vermutung nahe, dass der Name dritte Wissenschaft nichts anderes sei als eine umstaendliche Bezeichnung der Geschichte des Denkens oder der Geschichte der Philosophie. Eine solche Vermutung aber waere unrichtig. Nicht dass die Geschichte der Philosophie und die dritte Wissenschaft nicht denselben Stoff, dieselben Probleme behandelten; das tun sie zwar, aber in grundsaetzlich verschiedener Weise. Die Geschichte der Philosophie wiederholt die Gedanken und das Gedachte entfernter (entlegener) Denker, aber wiederholt sie sozusagen von aussen, ohne sie im eigentlichen Sinne ernst zu nehmen, ohne sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen, ohne sie zu verinnerlichen, ohne sie zu begreifen, ohne sie zu verstehen, ohne ihnen gerecht zu werden. Denn um einem Gedanken gerecht zu werden, muss man ringen, mit ihm und mit allem was er besagt und was aus ihm folgt, wie Jakob mit dem Engel, bis man erleuchtet und gesegnet wird. Dann aber sind Engel und Dogma verschwunden, und was uebrig bleibt ist ein vertieftes Verstaendnis, ein verwandelter Geist. Und diese Vertiefung, diese Verwandlung vermag das blosse Wiederholen des schon einmal Ausgefuehrten nicht zu bewirken. Hat man aber in dieser Weise das einst fremde Begriffsgebilde verinnerlicht, so ist es ein Teil der eigenen Geisteswelt geworden, und als solches etwas bedeutenderes als das Begriffgebilde welche die Geschichte der Philosophie neben all den anderen gleichwertigen Gebilden aufmarschieren laesst. Ein Gedanke ist gueltig, erst wenn er zu einem Bestandteil der eigenen Geisteswelt des Einzelnen geworden ist, und es ist im Bereich dieser eigenen Geisteswelt des Einzelnen und nur in diesem Bereich, dass das empirisch-dynamische Vorgehen der dritten Wissenschaft die einander bestreitenden Begriffe in dem gemeinsamen Rahmen des ungeloesten Widerspruchs zur Geltung kommen laesst. Dies denn ist die eigentuemliche Wirkung der dritten Wissenschaft, dass sie die Begriffe zu Gunsten des Bewusstseins herabwuerdigt und das Bewusstsein erhaben ueber die Begriffe macht. Aus diesem Grunde gelingt es der dritten Wissenschaft die Ungereimtheiten, die Unvollstaendigkeiten, die Widersprueche der Begriffsgefuege zu verkraften, gelingt es dem Einzelnen mittels ihres Beistandes inmitten dieser Unvollstaendigkeiten und Widersprueche zu gedeihen. Der gemeinsame Nenner, der Katalyst welcher die schwankenden und wiederspruechlichen Gedanken, Themen, Saetze mit einander vereinbart ist das Erleben welche diese Gedanken, Themen, Saetze bei dem Einzelnen ausloesen. Zwar behalten sie ihre Widerspruechlichkeit; jedoch verliert im Lichte der Subjektivitaet diese Widerspruechlichkeit ihre zwingende Bedeutung. Das subjektive Erleben hat seine eigenen Unstimmigkeiten und Widersprueche, aber diese liegen voellig ausserhalb des Bereiches objektiver Darstellung. Es ist die Eigenart der dritten Wissenschaft, dass obgleich ihre Ergebnisse objektiv und mitteilbar sind, ihr Verlauf subjektiv und inwendig ist; und dies in hoeherem Masse als im Falle der ersten beiden Wissenschaften, der Aristotelischen und der mathematischen Logik. Die Verlegung des Urteils ins Bewusstsein, also ins Innere ist bekanntlich der Vorgang der Kartesischen Methode. Hingegen macht die Mathematisierung das Urteil ausdruecklich und mitteilbar. * * * * *

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