20010829.00 Ueber die Gesetzlichkeit der Natur, ein Begriff dem im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert eine so grosse Bedeutung zugemessen wurde. Wie steht es nun im einundzwanzigsten Jahrhundert mit diesen Gesetzen? Genauer gefragt: wie sollte ich mich als Einzelner, wie sollte ich mich als Gesellschaftsmitglied zu dieser Vorstellung verhalten? Sind die Gesetze der Natur von anderen Menschen entdeckt oder sind sie erfunden? Ist es erlaubt mit Nietzsche zu sagen: Wenn es Goetter gaebe, wie hielte ich es aus kein Gott zu sein. Also gibt es keine Goetter? Dem Begriff eines Gesetzes ist die Zuverlaessigkeit, die Genauigkeit, die Praezision, die absolute Gueltigkeit inne. (Implicit in the concept of the lawfulness of nature is the notion of absolute accuracy, precision, reliability.) Doch ist ueberall zu erkennen, dass die Gesetze nicht genau sind; dass die Natur ihre Gesetze keineswegs puenktlich, sondern nur ungefaehr, befolgt. Ich vermag mir kein Naturgesetz vorzustellen, welches mit genuegender Genauigkeit betrachtet, nicht Abaenderungen, Modifikationen bedarf um seine Gueltigkeit, um seine Zuverlaessigkeit zu bewahren. So etwa das Gesetz der Schwere. Die einfache algebraeische Rechnung ist immer nur Approximation. Wenn der Apfel vom Baume faellt, so wird seine Bahn und die Geschwindigkeit seines Fallens vom Widerstand der Luft, vom Wehen der Winde, von der Veraenderlichkeit des gravitaetischen Feldes der Erde abgewandelt. Ist daraus zu schliessen, dass es keine Gesetze gibt? dass die Gesetzmaessigkeit des Naturgeschehens eine Taeuschung ist? Meine Antwort darauf ist folgende: Die absolute, rigorose Gesetzmaessigkeit der Natur ist ein ideales Verhalten welches der Mensch auf die Gegebenheiten projiziert, welches in seiner Unbedingtheit festzustellen dem Menschen jedoch unmoeglich ist. Dieses Ausfallen der Unbedingtheit mag erkenntnistheoretische, ethische und aesthetische Folgen haben. Entscheidend aber ist die Tatsache, dass es dennoch moeglich ist sich in gewissen Grenzen zu praktischen Handeln auf diese zugegeben unvollkommene Gesetzlichkeit zu verlassen. So ist die Erde keine perfekte Kugel, trotzdem aber ist es moeglich sie zu umsegeln. Die Unvollkommenheit des Naturgesetzes ist von Bedeutung nur insofern sie es unmoeglich macht sich in allen Umstaenden auf das Gesetz zu verlassen. Und wo der besondere Umstand der das Gesetz unzuverlaessig macht, eintritt, da wird er behoben nicht dadurch, dass man das Gesetz als Ganzes ablehnt, sondern dass man es auf gehoerige Weise modifiziert. So ist die Wissenschaft nicht so sehr das Entdecken von neuen Gesetzen, wie das Abaendern, das Modifizieren von vermeintlich bestehenden. Die unbedingte Gesetzmaessigkeit also ist nicht, so weit wir es zu erkennen vermoegen, in erster Linie (in the first place) eine Eigenschaft der Natur sondern eine Eigenschaft des menschlichen Gemuets: die vermeinte Gesetzmaessigkeit der Natur ist eine Idealisierung vergleichbar mit den Idealisierungen des Sehens und des Hoerens. Ich komme zu dem Beschluss, dass die Gesetzlichkeit der Natur durchaus vergleichbar ist, und tatsaechlich aus demselben Stoffe (of one and the same cloth) wie die arithmetische Gesetzlichkeit der Zahl, wie die geometrische Gesetzlichkeit des Punktes, der Linie und der Flaeche. Man mag den Standpunkt vertreten, dass die Gueltigkeit des Punktes, der Linie, der Flaeche, der Zahl auf einer geheimen (geheimnisvollen) anderweitig unsichtbaren Uebereinstimmung von Mensch und Welt beruht, in der Terminologie des deutschen Idealismus, einer Uebereinstimmung des Geistes des Individuums mit dem Geist der Natur. Dass eine solche Uebereinstimmung tatsaechlich alle Bereiche des Daseins behaftet (obtains in all phases, aspects of human existence) und dass es letzten Endes diese Uebereinstimmung und nur diese Uebereinstimmung ist welche das Leben ermoeglicht, welche die Grundlage und Vorbedingung des Lebens ist. Ich halte es fuer moeglich dass mit dieser Einsicht der Idealitaet all unseres Wissens und all unseres Verstehens endlich die Teilung (Dichotomie) von Ich und Welt ueberwunden ist. Cassierers Philosophie der symbolischen Formen scheint mir meine Deutung zu bestaetigen. * * * * *

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