20011022.00
Man muss viel gelesen haben und vieles Gelesene muss
unverstanden geblieben sein: man muss viel geschrieben haben
und schwer an der Unmitteilbarkeit (an der
Unverstaendlichkeit) seines Schreibens gelitten haben: eh
man zu der Einsicht kommt, dass alles vermeintliche
Verstehen Selbsttaeuschung ist, und alles erhoffte
Verstandenwerden ein Luftbild. Sachliche, faktische,
wissenschaftliche Mitteilungen werden nur in dem Sinne
verstanden, dass sie eine voraussagbare Wirkung haben.
Diese Wirkung besteht in der entsprechend abgeaenderten
Handlungweise desjenigen der die Mitteilung empfaengt.
Wissenschaftliche Mitteilungen sind eine Art Dressur. Das
Denken des einzelnen Menschen, sein Geist, wenn man so will,
wird durch die An- und Aufnahme einer wissenschaftlichen
Lehre in voraus bestimmbarer Weise verwandelt. Denn der
Geist des Menschen, wenn man so will, seine Intelligenz,
sein Gemuet, sein Denken, besteht in dem, was es
tatsaechlich bewegt, womit es sich von Stunde zu Stunde, von
Tag zu Tag beschaeftigt, womit es tatsaechlich erfuellt ist.
Der von einer (wissenschaftlichen) Mitteilung betroffene
Geist ist eben ein anderer als zuvor, ist durch die
Mitteilung verwandelt.
Die entgueltige Wirkung des Verstehens, des Begreifens,
ist den Geist des Begreifenden umzugestalten. Mit dieser
Umgestaltung ist das Verstehen als die Beziehung zu einem
Fremden, zu einem Anderen, aufgehoben. Denn nun ist der
Geist zu dem geworden, was er verstehen wollte. Um zu
verstehen, muss der Geist sich selbst aufgeben; mit dieser
Aufgabe seiner selbst aber, verliert der Vorgang des
Verstehens einen bedeutenden Sinn. insofern als der Begriff
des Verstehens voraus setzt, dass ich, wenn ich verstehe,
ich selbst bleibe.
Wenn ich ich selbst bleiben will, so vermag ich nicht
zu verstehen; und wenn ich verstehen will, so muss ich
bereit sein, mich, als den der ich bin, aufzugeben.
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