20011204.01
Seit mehreren Tagen schon beschaeftige ich mich mit dem
Ueberlesen von Notizen die ich, mit dem Vorsatz sie eines
Tages zu redigieren, ueber Jahre hin von Tag zu Tag im
Computer gespeichert habe, und bei dieser Arbeit entdecke
ich laengst vergessene Briefe an Euch, oder Entwuerfe zu
solchen, zum Teil zu Ende geschrieben und wahrscheinlich
abgesandt, zum Teil abgebrochen und sichtlich unbeendet,
eine moeglicher Weise lobenswerte Absicht bezeugend, aber
nichts weiter. Ob diese Umstaende meine Briefschuld
entlasten oder beschweren, weiss ich nicht. Mit Sicherheit
aber kann ich beteuern, dass ich wegen meines Schweigens ein
schlechtes Gewissen habe, und je laenger meine Schweigen
desto schlechter das Gewissen, und desto oefter
durchblaettere ich die Buecher von Koeln, von den
romanischen Bauten, die Ihr uns einst schenktet, und meine
Erinnerung schweift dann, in echt romantischem Stil zurueck
nach Kierspe mit dem so liebevoll beobachteten Garten, nach
den Spaziergaengen mit Euch durch Regensburg und Koeln,
zurueck aber auch, der Wahrheitstreue halber, zu
Autobahnstau und Neu-Amerika an der Oker. Fast jedes Mal,
wenn wir nach New Hampshire fahren, am Shaker Village
vorbei, durch Franconia Notch mit der Bizzarerie des "great
stone face", bei Bartlett an der "covered bridge", wo
Margaret den sie so begeisternden Riesenspecht erspaehte,
dann denke ich an Eueren wenn auch nur kurzen winterlichen
Besuch bei uns. Vergessen also habe ich Euch nicht.
Wenn Ihr jetzt kaemt wuerdet ihr ein schamlos
vergroessertes Haus vorfinden. Euch schien es ja, damals als
Ihr hier wart, gross genug. Jetzt sind am Suedende,
kreuzfoermig kirchenaehnlich, oder wenn ihr wollt, wie an
einem kleinbuergerlichen Schloss, sechs grosse Zimmer, (samt
drei Badezimmern) angelegt, die Aussenwaende saemtlich mit
hohen weiten Fenstern versehen, im Sommer von dichtbelaubten
Baeumen geschuetzt, im Winter mit weiterem Ausblick auf
Baumstaemme und Aeste, auf die Daecher benachbarter Haeuser,
und ueber allem der Himmel, manchmal grau und bewoelkt, aber
heute wolkenlos und von azurner Klarheit. Das alles sollte
doch bei Euch ein wenig Neugier erwecken: also kommt doch
einmal wieder und seht es Euch an. Wir sind zwar aelter,
aber sind dennoch die Alten geblieben.
Wie es zu diesem architektonischen Wahnsinn gekommen
ist, waere eine laengere Geschichte, der gerecht zu werden,
es eines Romanes, statt eines Briefes beduerfte. Den Roman
moechte ich, wenn mir Zeit und Geist gegoennt waere auch
eines Tages noch einmal schreiben, ohne jedoch Euch damit zu
belaestigen. Soviel nur sei gesagt: dass es unserer Familie
gut geht. Meinen Sohn brachte ich frueh morgens am 11.
September zum Logan International Airport, wo er einen
American Airlines Flug gebucht hatte. Aber Gott war uns
gnaedig: er war auf dem Wege nicht nach Los Angeles sondern
nach Chicago, wo er heil ankam. Da der Flugverkehr tagelang
unterbunden war, fuhr er mit der Bahn zurueck nach
Pittsburgh, von wo Margaret und ich ihn mit dem Auto
abholten. Die vier Enkelkinder entwickeln sich. Rebekah,
die Aelteste spielt Klavier und Geige, und hat gerade
begonnen sich in eine der Bachschen Solo-violin-sonaten
einzuueben. Sie glaenzt in der Schule in einem Masse, dass
"mir grauet vor der Goetter Neide." Nathaniel, der aeltere
der beiden Jungen erweist im Zeichnen Begabung, faengt an
Geschichten zu schreiben, und spielt Trompete, mit einer
fuer ein elf-jaehriges Kind erstaunlicher Feinfuehligkeit
fuer die Nuancen der Musik. Die beiden Juengeren scheinen
auch im Schatten ihrer begabten Geschwister zu gedeihen; sie
sind bis jetzt nur, was das schoenste ist, eben doch nur
Kinder. Margaret und mir geht es dem Alter entsprechend
gesundheitlich gut, bis auf ein boeses linkes Knie, das
Margaret schwer beim Gehen behindert, sie bis jetzt aber
nicht davon abhaelt.
Die politische Lage in den USA und in Israel entsetzt
mich in einem Masse, dass mir die Sprache vergeht.
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