20011222.00
Je aelter ich werde, desto klarer erscheint es mir, in
welchem Masse Geschichte, die Geschichte, meine Geschichte
auf meinem Gedaechtnis, auf der Faehigkeit zu erinnern
beruht.
Margaret, Klemens, Nathaniel und Leah sahen uns gestern
abend Bilder, projizierte Transparente, von vergangenen
Weihnachtsfesten, von den Weihnachtsfeierlichkeiten
vergangener Jahre an. Von dem stilhaften Haus in Damascus,
welches wir seiner Zeit von Mr. Crist, - seinen Vornamen hab
ich vergessen, gemietet hatten, nebenan von Austen Hyde.
Von den Praxisraeumen, in denen ich dort als Landarzt
arbeitete. Das alles nun schon vierzig Jahre her, und nun
nur noch durch die Bilder, und fast ausschliesslich durch
die Bilder vergegenwaertigt. Ist das nicht _meine_
Geschichte, und als solche unterscheidbar von den
Geschichten anderer die ich lese, und von denen ich mir
Bilder anschaue, unterscheidbar zwar, und doch eine Gestalt
desselben Gepraeges das der Geschichte, ganz im allgemeinen,
eigen ist. Denn wenn man einwendet, dass die Geschichte
unbedingt unwirklich ist, eben weil sie mir jetzt und hier
nur in der Erinnerung, in der Vorstellung zugaenglich ist,
so wird mir auch meine eigenste Geschichte, meine eigene
Vergangenheit unzugaenglich, und was waere ich den dann?
Was waere ich mehr als der vorueberstreichende Wind der in
den noch immergruenen Efaublaettern zittert, welche den
toten Apfelbaum vor meinem Fenster umzingeln. Denn was
sonst ist meine Person, wenn die Vorstellung von ihr
hinwegfaellt, hinweggestrichen wird, denn was bleibt von
meiner Person uebrig, wenn die Vorstellung von ihr abgezogen
wird, und was ist Vorstellung, wenn nicht Vorstellung von
der etwas schon jetzt vergangenem von der Vergangenheit?
Was ist Vorstellung anders als Inszenierung der Geschichte?
So bekraeftigen die Geschichte meiner Person, die
Geschichte meines Bewusstseins die Geschichte meines
Wissens, die Geschichte meines Erlebens, all diese
bekraeftigen (validate) die allgemeine, die universelle
Geschichte. Wiederum aber schwaecht die Hinfaelligkeit der
allgemeinen Geschichte, die beruechtigte Unzuverlaessigkeit
der Vorstellung auch das was ich sonst von mir selber am
gueltigsten am bestimmtesten zu berichten verstuende.
Wie die Erinnerung und das Bewusstsein meiner selbst
die Weltgeschichte erst ermoeglicht, so kompromittiert die
Weltgeschichte durch ihr schiere Unbestimmtheit, durch ihre
Unerreichbarkeit, durch ihr Verschmelzen mit Einbildung und
Phatasie, die Erinnerung und das Bewusstsein meiner selbst.
Unter dem Strich halten sich die Unbestimmtbarkeit der
Weltgeschichte und die Bestimmbarkeit der eigenen
Bewusstseinsgeschichte im Gleichgewicht (die Waage.) Die
eine verbuergt der Weltgeschichte ihre wenngleich
beschraenkte Gueltigkeit; die andere beraubt (entzieht) die
Bewusstseinsgeschichte der Unbedingtheit, welche sie sie
anderweitig anmassen wuerde.
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