20020311.00
In seinen Philosophischen Fragmenten fragt Kierkegaard ob
man eine ewige Seligkeit auf eine historische Tatsache gruenden
kann. Er fragt nur, beansprucht nicht eine Antwort zu finden.
Hinterher, nach langem Gruebeln stellt er fest, dass es sehr sehr
schwierig ist ein Christ zu werden, schwierig, glaube ich, bis
zur Unmoeglichkeit. So gesellt er sich zu Nietzsche als
Verleugner jedenfalls der oeffentlichen Religion.
Die Frage welche mich beschaeftigt ist eine andere: Ich
frage, wie ist es moeglich, was bedeutet es, dass ich als
Subjekt, mir objektives Wissen aneigne. Nicht, wie Kant fragte,
wie ist Wissenschaft moeglich, - denn wie Wissenschaft moeglich
ist ist offenbar. Sondern, wie kann ich wissen; und was es denn
sein moechte, dass ich zu wissen vermeine?
Vielleicht besagt schon meine Wahl der Fragen ein ethische
Manko, einen ethischen Mangel (defect, deficiency). Vielleicht
ist es suendhaft die Frage nach der ewigen Seligkeit zu
ueberschlagen, um die ewige Seligkeit unbekuemmert zu sein; und
sie mit Heine getrost dem lieben Gotte zu ueberlassen. Dieu me
pardonnera, soll Voltaire gesagt haben, c'est son metier. Diese
Einstellung aber entspricht meinem Erleben, und ich jedenfalls
vermag daran nichts zu aendern.
Was aber die Frage nach dem Wissen anlangt, so ist sie
unumgaenglich fuer denjenigen der leidenschaftlich an seinem
Wissen interessiert ist, fuer den sein Wissen, seine geistige
Taetigkeit seine ewige Seligkeit bedeutet. Sollte es also
moeglich sein, dass das Wissen, das Verstehen, dass das geistige
Koennen, seine ewige Seligkeit darstellt? Dann wuerde meine
Frage beginnen sich mit der Frage Kierkegaards zu decken.
Meine Antwort auf die gestellte Frage ist aber keine
Antwort, sondern lediglich eine vorlaeufige Ueberlegung: Sich
Wissen anzueignen ist im geistigen Sinne, homoiosis; heisst dem
Gewussten gleich zu werden. Eine Sprache zu erlernen, heisst sie
zu verinnerlichen in einem Masse, dass ihre Worte, sobald man
erwacht, im Ohr erklingen, dass ihre Toene, dem Mund, sobald man
ihn oeffnet, entschluepfen.
Die Amblyopia ex anopsia ist ein eklatantes Beispiel der
Empfindlichkeit des Koerpers fuer Einfluesse objektiver
Gegebenheiten. Trotzdem ist es sehr umstaendlich, und vielleicht
letzten Endes auch ablenkend (distracting) oder gar irrefuehrend
sich bei allem Lernen neurophysiologische Gehirnveraenderungen
vorzustellen, welche dem Erlernten entsprechen. Dass dergleichen
Veraenderungen sich in bestimmten Faellen, unter bestimmten
Umstaenden, nachweisen lassen moechten, ist zweifellos.
Vielleicht sollte man es als Parallelerscheinung eher denn als
Gleichwertigkeit verstehen. And no matter how detailed or how
intricate the parallel manifestations between body and mind,
between flesh and spirit, there exists between them an absolute
qualitative difference which will not be bridged by intricacy or
by detail; notwithstanding the fact that a profusion of esoteric
theory and fact is commonly relied upon to obscure this
difference.
Die Wissenschaft, wie sie ueberhaupt moeglich ist, und worin
sie am Ende besteht, um auf Kants Frage zurueckzukommen, ist ein
methodisches Gewebe von Feststellungen (assertions) welche von
den Menschen im Rahmen ihrer Vergesellschaftung verfertigt
(elaborated) werden. Feststellungen welche auf eine stets
duester, ungenau und unvollkommen verstandene Wirklichkeit
zielen, Feststellungen welche dennoch ueber eine zwar
beschraenkte doch verhaeltnismaessig zuverlaessig vorhersagende
Gueltigkeit verfuegen. Es ist diese verhaeltnismaessige
Zuverlaessigkeit, vollkommen oder absolut wird sie nie sein,
welche dem Einzelnen und der Gesellschaft das Ueberleben
ermoeglicht.
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