20020314.00
Das Unvorstehen, oder das Nicht-verstehen.
Im allgemeinen bildet man sich ein (bruestet sich, ist stolz
auf) und taeuscht sich (verhuellt vor sich) in seinem Duenkel
ueber die Tatsache, dass sein Verstaendnis vollkommen,
vollstaendig oder auch nur zureichend gewesen waere. Zureichend
wozu?
Im Grunde ist schon die Wahrnehmung eines jeden Gegebenen
das Verstaendnis von ihm. Die Wahrnehmung, als Minimum
(Mindestmass) an Verstaendnis besagt freilich nichts, oder nur
das Geringste ueber das Wahrgenommene. Aber auch das
Hoechstmass, das Maximum an Verstaendnis, ist nicht erschoepfend,
besagt nicht alles ueber den wahrgenommenen Gegenstand. Denn das
Verstehen, das Begreifen ist immer nur verhaeltnismaessig; und ob
es den Pegel des Genuegenden erreicht, das haengt ab von den
spezifischen Umstaenden, haengt ab von den Beduerfnissen des
Verstehenden und von den Anforderungen derer denen das jeweilige
Verstaendnis mitzuteilen ist.
Die Ablehnung muss ja auch als eine Art des Verstaendnisses
gelten. Wenn ich zum Beispiel die Jazz-Musik oder das Rock und
Roll "ablehne", so besagt meine Ablehnung jedenfalls ein Minimum
von Bekanntschaft, denn kennen muss ich ja das Abzulehnende
jedenfalls in dem Masse, dass ich weiss, dass ich nicht mit ihm
zu tun haben will. Aber auch das hoechste Mass an Verstaednis
ist unvollkommen und laesst eine weitere Ergaenzung des
Verstehens zu, etwa von dem Hinzukommen eines anderen oder auch
nur von der natuerliche Fortentwicklung meines Denkens zuwege
gebracht. Gesetzt ich haette meine Leben lang mit dem Stdium, mit
der Besinnung auf, mit der Vertiefung in eine mir nun
unabaenderlich heilige Schrift verbracht, das hiesse keineswegs,
dass ich sie nunmehr restlos verstuende. Denn das Verstehen ist
eine geistige Zutat, eine seelische Kontribution, Beteiligung
meinerseits, welche so lang ich am leben bin nicht nur ergaenzt
und versvollstaendigt werden kann, sondern ohne Grenzen und ohne
Schranken ergaenzt werden muss. Dass ich aber mein eigene
Schreiben, meine eigenen Gedanken ausreichend verstuende, oder
auch nur gruendlicher und authentischer als die Gedanken eines
anderen, das ist eine phantastische Vorstellung, welche sich
verfluechtigt sobald ich einen Brief oder eine
Tagebuchaufzeichnung letzten Jahres aufs Neue ueberlese. Dann
muss ich mich selbst erst wieder entdecken, muss ich mich mir
selbst vorstellen, und mir selbst erklaeren.
Mit meinem Verstaendnis von Kierkegaards Begriff Angst, bin
ich durchweg unzufrieden, zugegeben, dass die Erklaerung von
Ewigkeit als Gegenwart, das Einbefassen von Vergangenheit und
Zukunft in die Gegenwart, und die strenge Unterscheidung von Zeit
und Gegenwart mich unschaetzbar anmuten. Aber davon abgesehen,
wenn ich Angst habe, dann hilft kein Begreifen mich zu befreien,
und wenn ich mutig bin und frei von Angst, dann vermag keine
Begriffsuebung mich in sie hineinzuversetzen, oder mir auch nur
anzudeuten, was erlebte, wenn die Angst mich ergriffe. Und ueber
die Beziehung von Suende, Adam und Geschlecht, verbleibe ich im
dunkeln, wobei es mir unklar bleibt, ob Adam der prototypische
Einzelne ist, der Vertreter des Geschlechtes, und wie er sich zu
dem Geschlecht verhaelt.
Ich lese dies Buch in deutscher Uebersetzung und vergleiche
diese mit dem urspruenglichen Text. Ich lese des Uebersetzers,
Emanuel Hirschens Einfuehrung, welche die bahnbrechende
Tiefenpsychologie des Werkes anpreist. Aber worin bestaende
diese? Dass endlich irgendjemand von der Angst Notiz nimmt? Dass
endlich jemand die Angst ernst nimmt? Dass endlich jemand mit
dem Begriff der Erbsuende herumspielt, als ob seine eigene
Suendhaftigkeit ihn nichs anginge, oder ueber die Angst
schwafelt, als ob er sie nie gespuert haetee? Und der
Uebersetzer der soetwas schreibt, welche Befugnis hat der zu
uebersetzen?
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