20020325.00

     Die Gesetze dienen dazu die Menschen gegen einander zu
schuetzen; sie vor der Unvorhersehbarkeit, Unbestimmtheit, vor
der kierkegaardschen Moeglichkeit welche die Angst hervorbringt
(erzeugt) zu bewahren.  Dieser Schutz scheint ersten Ranges den
Untertanen des Gesetzes zu gute zu kommen, welche das Gesetz vor
Diebstahl und Totschlag von ihresgleichen schuetzt.  In einer
hoch entwickelten und eng verstrickten Gesellschaft jedoch stammt
die Bedrohung des Einzelnen nicht nur von seines gleichen,
sondern in betraechtlichem Masse auch von jenen Beamten welche
die Befolgung des Gesetzes erzwingen; und endlich vielleicht von
den Beamten in noch groesserem Masse als von sogenanten gemeinen
Verbrechern.

     Die Bedrohung welche die angebliche Vollstreckung der
Gesetze darstellt, hat verschiedene Ursachen. Die Vollstrecker
der Gesetze sind selbst Menschen und ihre Handlungen sind
leytzten Endes nicht weniger willkuerlich als die Handlungen
aller anderen Menschen.  Quis custodiet ipsos custodes?  Wer wird
die Hueter hueten?  Man erlaesst wiederum Gesetze um das Betragen
von Polizisten, Anwaelten, Richtern und anderen Beamten zu
kontrollieren, aber auch diese Gesetze beduerfen der Auslegung
und des Vollzuges.  Doch vermag kein Mensch an sich selber ein
Gesetz zu vollstrecken.  Trotz aller Bemuehungen um eine
verfassungsmaessige Regierung, verbleiben die Beamten in hohem
Masse ausserhalb, oder ueberhalb der Gesetze.

     Auch ist die Gesellschaft in einem Masse verstrickt, dass
die Anzahl der Umstaende welche gesetzlicher Kontrolle beduerfen,
oder von denen man meint, dass sie dergleichen Kontrolle
beduerften, sehr gross, so dass es sehr viele Bestimmungen und
Verordnungen gibt, welche bis in die unbedeutendsten Situationen
reichen, Verordnungen welche kein Mensch im Gedaechtnis zu
behalten vermag auf Situationen gemuenzt die so zahlreich sind,
dass es unmoeglich ist sie alle zu kontrollieren.

     Demzufolge dient die Strafe dann nicht dazu begangenes
Unrecht wieder gutzumachen, sondern den moeglichen zukuenftigen
Taeter von seiner Tat abzuschrecken.  Wo aber die Strafbarkeit
einer gegebenen Handlung unbestimmt ist, da wird der Einzelne
nicht nur von ausdruecklich gesetzeswidrigen Handlungen
abgeschreckt, sondern auch von solchen deren Gesetzmaessigkeit
unbestimmbar ist; und wird darueber hinaus von vielen Handlungen
abgeschreckt, von denen er nichts mehr als eine blasse
Vorstellung hat, dass sie moeglicher Weise in der Ansicht irgend
eines Beamten als gesetzeswidrig erscheinen moechten.
Tatsaechlich ist die Zahl der Anordnungen in einem Masse
angeschwollen, dass ihre Befolgung auch eine duerftige Existenz
unmoeglich macht.  Dieser Umstand wird klar, wenn zum Beispiel,
eine Arbeiterschaft um Konzessionen auf Seiten des Arbeitgebers
zu erzwingen, beschliesst strikt nach den Regeln vorzugehen. Das
genaue Befolgen der Regeln naemlich behindert die Arbeit in einem
solchen Masse, dass nichts geschafft wird.

     Unter diesen Umstaenden ist es unvermeidlich, dass die
Bestimmtheit der Gesetze zurueckgedraengt wird; dass die
Moeglichkeit der Strafe greller und drohender erscheint, und dass
das Ueberleben erst moeglich wird, wenn man bereit ist die
Moeglichkeit, die Unbestimmbarkeit der Bestrafung auf sich zu
nehmen.

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