20020316.00

     Kierkegaards Begriff Angst schneidet verschiedene bedeutende
Fragen an:

     Bekanntlich gruendet sich Kierkegaards Erklaerung der Angst
als Ausdruck der Erbsuende auf die Beschreibung des Suendenfalls
im 1. Buch Mose. Die ueberlieferten Uebersetzungen stimmen
eindeutig ueberein, dass Eva geschaffen wurde, erst nachdem der
Herrgott Adam verboten hatte vom Baum der Erkenntnis zu essen.
Ob Gott das Verbot vom Baume der Erkenntnis zu essen auch an Eva
gerichtet hatte, wird nicht berichtet, ebensowenig wie ob Gott
Adam beauftragt hatte das Verbot Eva mitzuteilen, oder auch nur,
ob es auch Eva, sowohl als Adam, nicht erlaubt gewesen war vom
Erkenntnisbaume zu essen.  Denn unterschiedlich war ja Eva von
Adam in vielen Weisen, warum sollte sie nicht auch anderen
Geboten als Adam betreffs des Essens von Erkenntnisaepfeln
unterworfen gewesen sein? Davon wird nichts berichtet.  Berichtet
wird nur dass Eva das Erkenntnisbaumsverbot auch auf sich bezog,
und dass es einiger Ueberredung von Seiten der Schlange bedurfte,
Eva zum Genuss des Apfels zu bewegen. Was dann geschah ist wohl
bekannt. Eva ass von der verbotenen Frucht und gab ihrem Mann
davon zu essen; und infolge des unerlaubten Genusses wurden ihrer
beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt
waren und flochten sich Feigenblaetter zu Schuerzen. Warum sie
hernach es noch notwendig fanden sich vor den Augen Gottes zu
verstecken ist nicht voellig klar. Angeblich fuerchte sich Adam
als er die Stimme Gottes im Garten hoerte.  War es dass die
Feigenblaetter nicht modisch genug waren, dass Adam und Eva
meinten um vor Gott zu erscheinen kostbarere Kleidung zu
beduerfen oder war es, dass Adam sich vor der ploetzlich
erkannten eigenen Geschlechtlichkeit fuerchtete, oder fuerchtete
sich Adam vor dem Zorn und der Strafe Gottes?  Jedenfalls ist
diese Furcht Adams vor dem Angesicht Gottes welche Kierkegaard
als Angst zu erkennen meint, und welche er als eine
Urbeschaffenheit der menschlichen Existenz charakterisiert.

     Es scheint mir wuenschenswert die sich in dieser
dramatischen Darstellung verknoteten Faeden etwas aufzulockern.
Es ist wichtig den ueberlieferten Text anzuerkennen fuer was er
ist: eine uralte Geschichte fuer deren wortgetreue Erhaltung wir
Dank schuldig sind, eine Geschichte jedoch welche wir und
aneignen duerfen nur unter der Bedingung dass wie sie nicht
verzieren oder anderweitig ausschmuecken, dass wir ihre
Unergruendlichkeit wuerdigen, und davon absehen sie zu eigenen
Zwecken zu zerpfluecken.

     Ich bin unschluessig, was es bedeuten moechte, dass
Kierkegaard sein persoenliches Interesse an der Angst, und
vielleicht auch sein persoenliches Erleben eines Angstzustandes
an die Paradieses Fabel knuepft. Gewiss gewinnt das Gegenwaertige
mit dem Bezug auf die uraelteste Vergangenheit eine neue
Perspektive, vielleicht sogar eine Patina der Authentizitaet.
Andererseits aber verliert das Gegenwaertige dadurch dass es mit
dem Alten in Uebereinstimmung gezerrt werden muss, ein Vorgang
bei welchem die Gefahr besteht, dass das Alte verfaelscht, und
das gegenwaertig Erlebte verdorben wird.

     Es ist unverkennbar, dass die Angst vor dem Moeglichen
groesser ist als die Angst vor dem Tatsaechlichen. Shakespeare
schrieb: The worst is not when we can say, this is the worst.
Aber es ist auch ein Fehler zu uebersehen, dass das
Tatsaechliche, das was Kierkegaard als Wirklichkeit bezeichnet,
nicht weniger als die Moeglichkeit, unter die Rubrik Vorstellung
gehoert, eine Vorstellung deren Unbestimmtheit und
Unbestimmbarkeit, nicht unterschaetzt werden darf.

     Ich bin nicht davon ueberzeugt, dass man aus der Tiefe der
Angst um das Moegliche durch den Glauben gerettet wird. Mir
scheint, dass wer der Angst tief genug verfaellt, jenseits
jeglicher Rettung ist; dass es tunlicher ist, nicht damit zu
prahlen, wie nah man am Verderben war, sondern demuetig und
dankbar fuer die unerklaerliche Rettung, und zulaenglich besonnen
hinfort nur wenn es unvermeidlich ist, sich aufs Eis zu wagen,
das eben noch duenner sein moechte als man befuerchtet.

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