20020430.00
Versteht man die Bat Mitzvah Feier als Schauspiel, so wird
man erinnert wie das griechische Drama aus rein religioesen
Veranstaltungen entwickelt haben soll. Es liegt dann auch nahe
sich vorzustellen, dass das Schauspiel entstand weil eine
urspruengliche einfachere religioese Handlung, was immer sie
gewesen sein mochte, den Beteiligten aus jetzt unerkennbaren
Gruenden nicht mehr genuegte, und dass sie in dem Schauspiel
einen fuer ihr Gottesempfinden mehr gemaessen Ausdruck
entdeckten, und in der dramatischen Darstellung menschlichen
Schicksals eine ergiebigere Quelle der Erbauung fanden.
Die Kritik an der Bat Mitzvah Feier sollte dann nicht die
Tatsache ihres Stattfindens betreffen, auch nicht die
unvermeidliche Entaeusserung des Inwendigen welche die
oeffentliche Feier verursacht, sondern das Ausbleiben jeglicher
schoepferischen Gestaltung jenes religioesen Erlebens das sie
darzustellen beansprucht. Dieses Ermangeln an Kunst, an
gediegenem Gefuehl, an Ironie, an Vorstellungen, Beispielen,
gegliederten Begriffen und begrifflichen Gestalten aller Art, wie
auch der Mangel an Musik, dieser aermliche Verlass auf die
Symbolik des Ritus und diese Geheimnistuerei mit der
unverstaendlichen Sprache sind soziologisch verstanden Folgen der
Rabbinerherrschaft und Strategie diese Herrschaft zu bewahren.
In mancher Hinsicht scheint mir die Situation des
zeitgenoessischen Judentums nicht unaehnlich der Lage der vor-
reformatorischen Kirche, deren Autoritaet auch auf eine dem Laien
unverstaendliche Sprache und durch einen von der Priesterschaft
beherrschten Ritus gegruendet war. Die Entwicklung eines nicht-
rituellen, erlebnisreichen Schauspiels so wie die Einfuehrung
einer ausdrucksvollen Musik haette die Macht der Priesterschaft
gefaehrlich untergraben; und es ist ja auch historische Tatsache
dass es erst die protestantische Schwaechung der Priester war und
die Uebertragung ihrer spirituellen Vollmacht auf das Bewusstsein
des einzelnen Gemeindemitglieds welche sich als Vorbedingung des
Aufbluehens der wohlbemerkt fast ausschliesslich protestantischen
Kirchenmusik im sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten
Jahrhundert erwies.
Die hebraeische Sprache ist mir ein besonderes Raetsel:
Wohlgesinnt und voreingenommen allem Sprachlichen gegenueber wie
ich es bin, kann ich trotzdem die Frage nicht vermeiden, in
wieweit diese Sprache ein Geheimkodex okkulter Ausdruecke ist
welchen am Ende nichts als ein willkuerlicher Sinn anhaftet, und
in wieweit dieses Hebraeische ein lebendiges Geistesgefuege ist,
in welchem das religioese Erleben einen unentbehrlichen Spiegel
findet. Die wirkliche Sprache ist lebendig. Ihr Leben wird vom
Gebrauch, von der Anwendung, von der Ausuebung getragen. Sie
begleitet den Menschen durch sein Leben, sie versoehnt ihn mit
seinem Schicksal; und in einem tiefen geistigen Sinne _ist_ sie
sein Schicksal. Es ist unmoeglich eine Sprache verpackt und
versiegelt jahre, jahrhunderte oder jahrtausende lang zu
erhalten, um sie dann bei gegebener Feier wie einen Juwel, wie
einen kostbaren Schatz ihrem Behaeltnis zu entheben um sie im
Sonnenstrahl des Geistes erglaenzen zu lassen. Mit der
wirklichen Sprache ist es etwas ganz anderes. Man muss sie wie
eine lebende Pflanze pflegen; man muss mit ihr vertraut sein; man
muss mit ihr verkehren wie mit einer Geliebten.
Ich bezweifle nicht, dass ein Gelehrter welcher dem Studium
des Hebraeischen sein Leben widmet, dadurch auch mit dieser
Sprache zu einer Intimitaet gelangen kann, welche der
Muttersprache den Rang streitig macht. Trotzdem wird die
Bedeutung der angelernten Sprache eigenartig bleiben, wenn sie
nicht mehr als eine Zusammensetzung des Sinnes von ueberlieferten
und zufaellig zugaenglichen Schriften wird. Der Sinn der Worte
ist uns nicht eingeboren. Auch vermoegen wir letztlich nicht ihn
aus Woerterbuechern zu schoepfen. Wir lernen den Sinn der Worte
aus unserem Umgang mit ihnen, aus dem Zusammenhang in welchem ein
Ausdruck benutzt wird, in dem Austausch von Gedanken und Erleben
mit anderen Menschen. Jeder Sinn welcher sich aus schriftlichem
Zusammenhang ergibt verlangt durch das eigene Leben ergaenzt zu
werden. Wo aber der ueberlieferte Zusammenhang ungenuegend ist
oder gaenzlich fehlt, da bleibt dem Leser nichts anderes uebrig
als aus eigenem Erleben und nur aus diesem, mit unvermeidlicher
Willkuerlichkeit dem Wort seine Bedeutung zuzuschreiben.
Ich weiss nicht in wie weit dies der Umstand mit der
hebraeischen Sprache ist, doch vermute ich dass die Bezeugungen
der aeltesten Schriften sehr duerftig sind; dass man in vielen
Faellen nicht mit Sicherheit zu bestimmen vermag, was mit einem
Ausdruck gemeint werden moechte, oder ob ein gegebener Ausdruck
mehr als eine Deutung zuliess, und in manchen und zum Teil sehr
bedeutenden Faellen weiss man garnicht was ein gegebenes Wort
bedeutet. Auch faellt es mir auf, dass Maimonides sein Werk in
arabischer, und Spinoza das seine in lateinischer Sprache
verfassten.
Ich stehe unter dem Eindruck dass die Septuaginta die
umfassende Quelle alt-testamentlicher Deutung ist. und es wuerde
mich nicht ueberraschen zu erfahren, dass die Septuaginta selbst
eine Umdichtung nach griechischen Vorstellungen, bis zu einem
gewissen Grad sogar eine Neudichtung des Originals in
griechischem Geiste ist, dass die zahlreichen Kommentare und
Kompendien seither, bewusst oder unbewusst, ausdruecklich oder
inbegriffen, die letzthin willkuerlichen Deutungen und
Uebersetzungen der Septuaginta nachsprechen, ohne irgendeinen
weiteren Beweis oder Beleg.
Bei aller Betonung der Inwendigkeit und Individualitaet, bei
aller Behauptung der Geistigkeit und Unsichtbarkeit Gottes, darf
man die Gesellschaftlichkeit des menschlichen Wesens nicht
vergessen oder verleugnen, und somit ist es geboten das
natuerliche Beduerfnis nach einer oeffentlichen
gemeinschaftlichen Religion welche die Menschen verbindet statt
sie zu trennen sehr hoch anzuschaetzen, und ihm die gebuehrende
Anerkennung zu zollen. Es ist durchaus streitbar (arguable)
inwiefern die Religion wirklich die geeignete Zufluchtsstaette
des Individuums waere, sein Schutz und Hort gegen die Ansprueche
der Gesellschaft. Der Keim der Individualisierung des Erlebens
liegt gewisslich in der Bibel vorbereitet. Die Bibel aber ist
keineswegs folgerichtig. Sie fordert zugleich die
Verinnerlichung und die Veraeusserlichung des Geistes. Sie
selbst ist ein Spiegel der verschiedensten sich kreuzenden und
oft gegenseitig aufhebenden menschlichen Eigenschaften. Es ist
unmoeglich, ohne ihrem Inhalt Zwang anzutun, sie ausschliesslich
einerseits fuer das objektive, aeusserliche, gesellschaftliche
Erleben oder andererseits fuer das subjektive, inwendige,
individuelle Erleben in Anspruch zu nehmen.
Beide Standpunkte sind verfechtbar, aber ein jeder nur in
nur beschraenktem Masse; und insofern die Bibel zugleich dem
kommunalen und dem individuellen Erleben Ausdruck verleiht, ist
sie ein getreuer Spiegel des Lebens.
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