20020518.01
Man wird fragen in wie weit der Eindruck der Aussenwelt auf
den (einzelnen) Menschen als darstellbar, und in wie weit dieser
Eindruck nur als undarstellbare Vermutung (inference) betrachtet
werden sollte. Dies ist eine sehr (ueberaus) wichtige Frage,
welche auf den Kern unseres Denkens zielt, deren mutmassliche
Beantwortung zu grossen Irrtuemern verleitet. Man moechte eine
physikalische oder chemische Veraenderung demonstrieren koennen,
und man meint, dass mit dergleichen Demonstration die These
bewiesen, die Frage beantwortet sei. Die Geschichte der
Wissenschaft hat aber reichlich Beispiele, dass wie wertvoll auch
immer dergleichen Endeckungen sein moechten, die urspruengliche
Frage durch sie nicht entgueltig geloest. sondern lediglichs
verlegt, umgedeutet (displaced) wird. Man bedenke wieviel und
wie wenig die Entdeckungen ueber die Struktur und Funktion des
Auges ueber den tatsaechlichen Vorgang des Sehens enthuellt
haben. Denn die Frage betrifft die Beziehung des Bewusstseins
zum Gegenstand: die Beziehung also von Seele und Koeper, und
diese Frage enthaelt ihre Antwort in sich selbst: die einzige
Antwort ist die Tatsache des Bewussten Aktes, oder wenn man will,
das Erlebnis des Sehens. Ob dies Erlebnis mit der aeusseren
Erscheinung des Augapfels, mit der Lichtuebertragung durch
Hornhaut, Vorderkammer, Linse, Glasskoerper, mit der Abbildung
des Erschauten auf der Netzhaut, mit der Reizbarkeit der
Netzhautzellen, des Nervus opticus, u.s.w. in Zusammenhang
gebracht werden sollte, all das macht keinen Unterschied, denn
abgetrennt von dem subjektiven Erlebnis des Sehens sind alle
anatomisch-physiologischen Betrachtungen sinnlos: und keine von
ihnen vermag das Bewusstsein des Sehens synthetisch so zu sagen,
induktiv, auch nur andeutend zu bestimmen. Hiemit soll nicht
geleugnet sein, dass das wissenschaftliche Verstaendnis des
Sehens und der Gesichtsorgane nicht wesentliche Eingriffe in das
Sehvermoegen ermoeglicht; nur aber dass durch dergleichen Wissen
die subjektive intuitive Erlebnis des Sehens nicht ersetzt zu
werden vermag.
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